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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0295
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BESPRECHUNGEN.

281

stigen Beweglichkeit zwischen Rotterdam und Tiryns, Tutankamon und Hobbema
hin und her springt, so wird es dem Rezensenten schwer, ihm zu folgen, die zahl-
reichen und starken Anregungen die er bietet, dankbar hervorzuheben, die zahl-
reichen Entgleisungen aufzuzeigen. Das soll hier also nicht geschehen, vielmehr
möchte ich mit nur zwei, dafür aber grundsätzlichen Bemerkungen zu den Absichten
und Ergebnissen dieses Buches Stellung nehmen.

Was L. vorschwebt, ist das Ideal bzw. die unglückliche Liebe vieler moderner
Kunsthistoriker: in der scheinbar so chaotischen Gesamtentwicklung der Kunst ver-
sucht er eine konstante Funktion, sagen wir die Entwicklungskonstante aufzufinden,
die sich im Ablauf von zwei oder mehr — mit der Dreizahl dürfte L. Recht behal-
ten — genetisch zusammengehörigen, sich gegenseitig bedingenden Stilstufen aus-
wirkt und durch die Wiederholung in kleineren und größeren periodischen Zyklen
das heiß ersehnte Gesamtsystem der geistig-künstlerischen Bewegung ergibt. Ganz
gleich nun, wie man sich zu diesen Gedanken stellt, ganz gleich auch, um wie viele
sich ablösende Stilstufen es sich handelt und wie es sich mit dieser periodischen
Wiederholung verhält — jedenfalls ist es klar, daß die ganze Untersuchung nur
dann zu einem Erfolg führen kann, wenn die von uns aufeinander bezogenen Stil-
stufen auch tatsächlich äquivalent sind, d. h. wenn sie den gleichen „Ordnungs-
wert" im System der Entwicklung besitzen. Unrein Beispiel zu geben, das zugleich
zeigt, wie mit der bloßen Feststellung des zeitlichen Nacheinander gar nichts ge-
wonnen ist: kein Mensch würde daran denken, etwa die Kunst des gesamten Mittel-
alters, sodann die der Früh- und endlich der Hochrenaissance als die drei Stufen
eines Entwicklungszyklus zu betrachten, denn jeder weiß, daß es sich hier um völ-
lig ungleichwertige Stufen handelt. Daß unsere Kunstwissenschaft sich über diesen
Ordnungswert der von ihr aufs Geratewohl aufgegriffenen Stil- bzw. Kunststufen
kaum kümmert und nicht einmal nach einer festen Terminologie zur Bezeichnung
dieser Stufen strebt (was sind denn Phasen, Perioden, Epochen der Kunstentwick-
lung?), beweist, daß diese, wegen ihrer methodologischen Fortgeschrittenheit so oft
gepriesene Wissenschaft noch in den ersten Anfängen steckt. Von einer Lösung
dieser Strukturfrage, von einer zuverlässigen Stufenordnung kann in diesem Buch
und bei dem ganzen Draufgängertum des Verf. natürlich keine Rede sein, und so
sehen wir, daß er in der Tat fortgesetzt völlig ungleichwertige, unter- und über-
geordnete Entwicklungsstufen verknüpft, äquivalente Stufen auseinanderreißt, so daß
zunächst einmal das von ihm aufgestellte Gesamtsystem der Entwicklung wahr-
scheinlich in keinem einzigen Punkt stimmen dürfte. Um hier nur ein paar Bei-
spiele aus der Vorzeit zu nehmen: L. glaubt seinen primitiv-klassisch-barocken
Rhythmus — sagen wir den a-, b-, c-Rhythmus — in der Abfolge Aurignacien, Solu-
treen, Magdalenien wiederzuerkennen; er faßt diese drei Stufen zu einer über-
geordneten A-Stufe („primitive" Paläolithkulturen) zusammen und stellt dieser die
„klassische" Azylien-Stufe als B-Stufe gegenüber. In Wirklichkeit wissen wir, daß
das Solutreen in der westeuropäischen Kultur vermutlich überhaupt keine stil-
geschichtliche Bedeutung besitzt, während das Azylien höchstwahrscheinlich die
dritte, dem Aurignacien und Magdalenien entsprechende Stufe vertritt. Folge: wäh-
rend das Aurignacien, Magdalenien, Azylien uns den gesuchten a-, b-, c-Rhythmus
offenbart, liest L. diese Stufenfolge als ein a, c, B. Anderes Beispiel: für L. bilden
die Stilstufen der Hochneolithik, der Spätneolithik und der Bronzezeit wiederum
einen a-, b-, c-Zyklus. In Wirklichkeit enthält schon die neolithische Ornamentik in
sich die gesuchten drei Stufen, die Unterstufen einer übergeordneten — eben der
neolithischen — A-Stufe, der nun die wiederum in Stufen gegliederte Bronzezeit als
zuzuordnende B-Stufe folgt. M. a. W., was sich für L. als die a-, b-, c-Konstante
darstellt, ist in Wirklichkeit als eine Abfolge b, c, B zu verstehen. Sieht man dann,
 
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