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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0297
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BESPRECHUNGEN.

283

Man kennt die Bedeutung von Windelbands Straßburger Rektoratsrede vom
Jahre 1894 über „Geschichte und Naturwissenschaft". In dieser Rede hat Windel-
band die idiographische Begriffsbildung von der nomothetischen unterschieden und
mit dieser Unterscheidung den Grund gelegt zu einem methodologischen Verständ-
nis der Geschichte. Es ist ebenfalls bekannt, daß dann Rickert von dieser Rede
Windelbands die Anregung empfangen hat zu seiner prinzipiell entscheidenden Un-
tersuchung über „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung", in der
er die begriffliche Struktur der Geschichte in einer Weise erhellt hat, die heute in
das allgemeine erkenntnistheoretische und methodologische Bewußtsein eingegangen
ist. Eine ähnliche Wirkung nun wie von der Rede Windelbands ist von der Ab-
handlung ausgegangen, die Dilthey im Jahre 1900 in der Sigwart-Festschrift ver-
öffentlicht hat. Denn diese Abhandlung, in der Dilthey „Die Entstehung der Herme-
neutik" in großen aber treffenden Zügen skizzierte, hat der Erneuerung des herme-
neutischen Studiums sowohl in historischer wie systematischer Hinsicht ähnliche
Anregungen gegeben wie die Rede Windelbands der Methodologie der Geschichts-
wissenschaft. Wenn auch nicht alle sachlichen Motive, die in der gegenwärtigen
Diskussion des „Verstehens" eine Rolle spielen, auf Diltheys Anregung zurück-
geführt werden können, so ist doch die Einwirkung seiner Abhandlung auf die
moderne Theorie des Verstehens unverkennbar. Vor allem ist eine histo-
rische Untersuchung, wie die bis jetzt zweibändige Arbeit von Joachim
Wach ohne die Anregung Diltheys schlechterdings nicht zu denken. In unmittel-
barer Anlehnung an die Problemstellung Diltheys hat Wach mit seiner Arbeit
einen Beitrag zur Geschichte des modernen Geistes geliefert, der den historischen
Untersuchungen Diltheys selbst sowie den neueren geistesgeschichtlichen Arbeiten
eines Troeltsch und Rothacker würdig zur Seite gestellt werden darf.

In dem ersten Band seines Werkes gibt der Verf. eine problemgeschichtliche
Darstellung der hermeneutischen Theorie, die die großen Systeme der Hermeneutik
im 19. Jahrhundert (Ast, F. A. Wolf, Boeckh und Humboldt) zum Gegenstand hat.
Da in diesen Systemen die Theorie des Verstehens sowohl an philologischen wie an
theologischen Sinngebilden orientiert war, so berücksichtigt der Verf. sowohl die
literarisch-ästhetische wie die theologisch-religiöse Seite der Hermeneutik. Es ist je-
doch unverkennbar, daß sich sein Interesse vornehmlich der theologischen Ausgestal-
tung der Hermeneutik zuwendet. Das kommt u. a. darin zum Ausdruck, daß der
Verf. die wenn auch nicht systematische, so doch prinzipiell bedeutende Theorie des
ästhetischen Verstehens, die die frühromantische Ästhetik und Kunstkritik zur Aus-
bildung gebracht hat, kaum berücksichtigt und seine eigentliche Darstellung erst
mit dem System des Schellingschülers Ast beginnen läßt. Auf die Vorliebe des Verf.
für die theologische Hermeneutik ist es ferner zurückzuführen, daß er in dem zwei-
ten Band seines Werkes entgegen der ursprünglichen Absicht nicht die Gesamt-
darstellung der Hermeneutik von den großen Systemen bis zu den sechziger Jahren
des 19. Jahrhunderts weiterführt, sondern zunächst einmal die theologische Herme-
neutik in diesem Zeitraum zur Darstellung bringt, um einem dritten Bande die her-
meneutische Theorie in den historisch-philologischen Wissenschaften zu überlassen.
Für unsere Betrachtung an dieser Stelle könnte somit der zweite Band des Werkes
ganz ausscheiden, wenn nicht der Verf. in einer relativ umfangreichen Einführung
in den zweiten Band einige Gedanken entwickelt hätte, die für das systematische
Problem des Verstehens nicht ohne Bedeutung sind. Denn während die Einleitung in
den ersten Band das Problem des Verstehens in systematischer Hinsicht kaum zu
fördern vermag, hat der Verf. wie gesagt in der „Einführung" des zweiten Bandes
einige Gesichtspunkte aufgestellt, die für jede Theorie des Verstehens die unum-
 
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