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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0298
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284

BESPRECHUNGEN.

gängliche Voraussetzung bilden. Bei der Bedeutung dieser Gesichtspunkte für das
Problem des Verstehens überhaupt wollen wir einige wesentliche Gedankengänge
dieser Einführung hier kurz erörtern.

Zunächst betont der, Verf., was mir wichtig zu sein scheint, daß von Verstehen
immer nur da die Rede sein kann, wo ein Sinn vorhanden ist. Diese Feststellung
ist in der Tat richtig und von weittragender Bedeutung. Denn aus ihr folgt die Ab-
lehnung jeder psychologistischen Theorie des Verstehens. Da wir nämlich
nur Sinn und Sinngebilde verstehen nicht jedoch Wirkliches, das wir lediglich wahr-
nehmen eventuell auch erklären können, so kann Psychisches als solches niemals ver-
standen werden. Was wir verstehen, wenn wir von seelischem Verstehen reden, das
ist der Sinn, der an der psychischen Wirklichkeit haftet oder, wie man sich auch
auszudrücken pflegt, vom Psychischen realisiert wird. Dieser Sinn selbst aber ist
irreal und in dieser seiner irrealen Seinsweise der eigentliche Grund alles Verstehens.
Jede Theorie des Verstehens wird daher in den irrealen Sinngebilden ihren spezi-
fischen Gegenstand zu suchen haben. Diesen Gedanken, wenn auch nicht bis zum
Ende entwickelt, so doch wenigstens grundsätzlich angedeutet zu haben, ist sicher-
lich ein Verdienst der systematischen „Einführung" des Verf. Nicht weniger inter-
essant und bedeutend scheinen mir ferner diejenigen Ausführungen zu sein, in denen
der Verf. die Begriffe Verstehen und Deuten gegeneinander abzugrenzen
sucht. Er geht dabei aus von einer Interpretation der beiden Begriffe, nach der Ver-
stehen die „objektive", Deuten aber die „subjektive" Auffassung des Sinnes heißen
soll. Mit Recht hält der Verf. diese Auslegung für zu einfach, als daß sie dem viel
komplizierteren Sachverhalt gerecht werden könnte. Zugleich möchte jedoch der Verf.
das relativ Berechtigte an dieser Auffassung bewahrt wissen. Er begibt sich daher
in eine eingehende Untersuchung, die die „Objektivität" geisteswissenschaftlicher
Erkenntnis überhaupt zum Gegenstand hat. Dabei unterläßt er es nicht, auf die zahl-
reichen Beiträge zu dieser Frage in der gegenwärtigen Philosophie Bezug zu neh-
men. Er nennt hier ausdrücklich Dilthey und Spranger, Jaspers und Scheler, Cas-
sirer u. a. Um so auffallender ist es, daß er die Theorie des Verstehens nicht er-
wähnt, die Rickert im Rahmen seiner Wertphilosophie zur Ausbildung gebracht hat.
Denn hier hätte der Verf. nicht nur die Theorie des Sinnes und der Sinngebilde am
klarsten entwickelt gefunden, sondern auch eine Verwendung der Begriffe „Ver-
stehen" und „Deuten", die höchst plausibel ist und sehr viel für sich hat. Danach
unterscheiden sich Verstehen und Deuten nach der Unmittelbarkeit und Vermittelung,
mit der sie uns den Sinn zugänglich machen. Verstehen würde demnach ein
unmittelbares Haben des Sinnes bedeuten. Es entspräche in seiner Ursprünglichkeit
der Unmittelbarkeit, mit der wir im „Wahrnehmen" das Wirkliche besitzen. Deu-
ten dagegen wäre schon eine begriffliche Vermittlung des unmittelbar Verstandenen,
wie das „Erklären" der Wirklichkeit eine begriffliche Vermittelung des unmittelbar
Wahrgenommenen ist. Subjektiv in seiner Geltung wäre also viel eher das Verstehen,
insofern es unmittelbar und begrifflich noch unvermittelt ist wie das Wahrnehmen;
objektiv dagegen das Deuten, das das unmittelbar Verstandene ebenso in begrifflicher
Formung umdeutet, wie das Erklären der Wirklichkeit die unmittelbaren Wahr-
nehmungen begrifflich umformt.

Wir sind bei diesen Gedanken etwas verweilt, weil sie für die gegenwärtige Dis-
kussion der hermeneutischen Problematik von Bedeutung sind. Doch liegt nicht in
den systematischen Ausführungen die Stärke des vorliegenden Werkes, sondern
selbstverständlich in der problemgeschichtlichen Darstellung, die nicht hoch genug
anerkannt werden kann. Der Verf. hat mit einer staunenswerten Belesenheit, die ihm
überall bis in die Gegenwart hinein Beziehungen und Zusammenhänge festzustellen
 
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