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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0327
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BESPRECHUNGEN.

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tischsten Lebenspunkt eines Werkes gewonnen und darum so „treffend" wie diese,
der Julius Cäsar sei ein Mysterium vom Kampf der menschlichen Würde gegen die
Größe der Welt. Oft sind die Vergleiche so sinnlich richtig und darum unvergeß-
bar wie dieser von dem jungen Renaissance-Adel, den wir durch Shakespeares
Komödien kennen: „Von ihrem Lebensdrang wie schöne Tiere besessen", oder sie
halten so zart das Unfaßbare wie das Wort von der „Abendschwebe" des Sturm
und der letzten Märchen. Noch über das hinaus kann man sagen: auf den beiden
Ausdrucksformen von Gegensatz und Verwandtschaft ruht dieser Stil. Die Anti-
thesen sind weniger ordnend, als daß sie die Weite des Umblicks bewähren.
Gundolf sieht kaum eine Erscheinung, ohne ihr sogleich auf der großen Landkarte,
die er stets vor Augen hat, den Platz anzuweisen, ihr Lageverhältnis zu möglichst
vielen Punkten zu bestimmen. So ist etwa schon bei Richard III. die ganze spätere
Deutung von Richard II. als dem Drama der ersten einsamen Seele, die aus ihrer
Einsamkeit leidet, vorausgenommen, um durch Verwandtschaft und Gegensatz
Richard III. und Heinrich IV. von diesem Werk aus zu bestimmen (Bd. I, S.
146/7). Und so erscheinen überhaupt die Gestalten der verschiedenen Dramen als
verwandt und gegensätzlich andere beleuchtend, — schon der Blick in das „Per-
sonen-Register belehrt darüber, wie sehr bei jedem Einzelwerk Gundolf der gan-
zen Menschenwelt Shakespeares ansichtig ist. Zwei Beispiele für viele: „Lear
füllt nicht wie andere Helden Shakespeares, Richard III., Hamlet, Macbeth, Othello,
Coriolanus, durch die aktive Macht seiner Seele, seines Willens, seines Geistes, sei-
nen Umkreis mit Verhängnis, Ereignis und Opfern: er schafft oder trifft auch nicht
einen einzelnen Widerpart der Liebe oder des Hasses, der ihn verdirbt oder mit dem
er verdirbt — wie Romeo die Julia, wie Othello die Desdemona und den Jago, wie
Antonius die Cleopatra und den Octavian. Er fällt nicht wie Brutus, zur Sühne
einer menschgewordenen Welt, die dann ihre Schatten und Helfer zur Rache schickt,
und er ist vollends nicht, wie die Hauptgestalten der Märchen, bloß der Träger
von Geschehnissen, deren Mitte außerhalb seines eigenen Herzens liegt, obwohl er
einigen Märchenhelden ... darin ähnelt, daß sein bloßes Dasein Mächte er-
regt ..." (Bd. 2, S. 222 ff.). „Cordelia ... wirft sich nicht wie Julia in schönem
Rausch von Auf- und Untergang der Liebe entgegen, die der Tod ist ... sie ergibt
sich nicht dem zärtlichen Verhängnis in erleuchteter Verblendung wie Desdemona,
um zu verderben an ihrem rührenden Ungeschick und einer höllischen List, einem
Fremdling verfallen, hellen Herzens und blinden Kopfes, sie spielt nicht wie Cleo-
patra, unschuldig listig und gefährlich begabt, mit dem eigenen Zauber und dessen
Beute, trunken vom Taumel und beinah lüstern die Grenzen zerstörend. Sie wei-
det sich nicht wie Rosalinde, Porzia, Beatrice am Überschuß des eigenen Herzens,
auch dem schmerzlichen und des eigenen Kopfes, auch des närrischen ..." (Bd. 2,
S. 242). Der Vergleich wird weiter durchgeführt abgrenzend und eingrenzend auch
durch den Gegensatz zu den nächstverwandten Gestalten, Isabella und Hermione.
Fast alle Frauen Shakespeares müssen auf diese Weise helfen, Cordelias Wesens-
raum abzustecken, als der einzigen, deren Leid völlig eins sei mit der Vernunft
und dem Willen. Man merkt, wie die verglichenen Gestalten selbst beim Vergleich
noch einmal gefordert haben, neu gesehen zu werden, wie Gundolf sich immer noch
wieder ergänzend ihr Wesen klar gemacht hat und nun auch alles über sie sagt,
was er bei dieser Heerschau neu gesehen hat. Das aber ist mehr, als für die Ab-
sicht der Stelle tragbar ist. Wir sollen Cordelia sehen, wir verlieren sie aus
dem Auge. Und es erhebt sich die Frage: kann man überhaupt etwas sagen, wenn
man s o viel sagt? Die Fülle, die man bewundert, wird zur Überfüllung. Ganz be-
sonders gefährlich aber ist es, daß alle diese Vergleiche in der Form der Negation
 
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