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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0333
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BESPRECHUNGEN.

319

„reine Photographie" vereinbaren läßt. Er verwirft die gesamten sog. Edeldruck-
verfahren und jeglichen technischen Eingriff überhaupt. Damit schließt er seinen
theoretischen Homunculus allzu sehr von der lebendigen Wirklichkeit ab, engt ihn
ungebührlich ein. Die Praxis könnte ihn bös aufs Eis führen. Was hat es z. B.
für einen Sinn, das Einkopieren von Wolken in ein Landschaftsbild, das dadurch
erst ein vollkommenes wird, als mit dem Begriff „reine Photographie" unvereinbar
zu brandmarken, wenn es hunderte von solchen Bildern gibt, bei denen kein Mensch
ahnen kann, daß die Wolken einkopiert sind, es sei denn, er wäre bei der Her-
stellung zugegen gewesen. Und hätte Springorum mehr praktisch-kunstwissen-
schaftlich statt rein theoretisch-ästhetisch gedacht, so hätte er besser mit dem
Begriff „Stil" operiert und dann hätte er erkennen müssen, daß nicht nur das
Silberbild seinen spezifischen Materialstil hat, sondern daß man ebensogut von
einem ehrlichen Pigment-, Gummi-, Bromöl- etc. Druckstil reden kann, und daß
diese Edeldruckverfahren keineswegs unbedingt Imitationen von graphischen Tech-
niken zu sein brauchen. Sie als „unecht" prinzipiell auszuschließen ist dogmatische
Engherzigkeit.

Der Verfasser irrt auch, wenn er behauptet, daß die künstlerische Photo-
graphie bisher immer „Kunst gleich Malerei" gesetzt hätte. Er hätte sagen müssen:
Flächenkunst. In diesen Rahmen gehört die Photographie unbedingt mit hinein,
trotz ihrer nicht zu leugnenden Eigengesetzlichkeit. Und damit ist sie auch all
den Gesetzen unterworfen, die für jegliche Darstellung von Räumen und Körpern
auf einer Ebene überhaupt gelten. Diese als „Erbe früherer Zeiten" einfach in
Bausch und Bogen über Bord zu werfen, wie es Springorum tut, ist denn doch
abwegig. Die Eigengesetzlichkeit resultiert lediglich aus den Besonderheiten des
Bildmaterials und aus der Art der Herstellung des Flächenbildes. Es ist richtig,
wenn der Autor sagt: „Den Dingen der Außenwelt gegenüber hat die Photo-
graphie eine allein dienende und objektive Rolle, die Malerei dagegen eine herr-
schende und subjektive", aber diese Tatsache reicht nicht aus, es zu rechtfertigen,
daß dem Lichtbild sein Charakter als Gebilde der Flächenkunst mit allen daraus
resultierenden Bedingtheiten abgesprochen werde. Sind Linien- und Lichtführung,
Ähnlichkeit»- und Grenzbeziehungen der Bildteile, Ausschnitt im Einklang mit der
Komposition etc. sichtbar zur bildmäßigen Geltung gebracht, dann haben wir es
mit einem Bildorganismus zu tun, gleichviel ob er gemalt, gezeichnet, radiert oder
photographiert ist. Sind dagegen die Bildelemente ein Chaos, bei dem nur der
Zufall oder Gedankenlosigkeit am Werk war, so kann in keinem Fall von Kunst
die Rede sein. Damit erblickt man noch lange nicht in der Photographie „eine
wertvolle Abart der Malerei". Es ist keine „Grenzverwirrung", dagegen ist
Springorums Deduktion eine Grenzverschiebung. Will man nicht der Kunst-
anarchie das Wort reden, so muß man allgemein gültige Gesetze des Bildens an-
erkennen; dann gelten sie aber auch für die Photographie, die Anspruch auf Wer-
tung als Bild macht. Von dieser Seite her hätte auch Springorums sehr gerecht-
fertigte und begrüßenswerte Verurteilung der Auswüchse mancher modernen Photo-
graphen, der „Erzeugnisse verkrampften Geistes", wie er sehr gut sagt, einsetzen
können und sollen.

Es will mich ferner bedünken, als übersehe der Ästhetiker Springorum über
dem Reiz des materiellen Augenerlebnisses die Forderung nach Vermittlung eines
seelischen Erlebnisses durch das Geformte. Sie muß gestellt werden, soll über-
haupt von Kunstwert die Rede sein. Ohne solche Auswirkung bleibt alles Gebildete
lediglich Sichtbarkeitsprotokoll. Ästhetische Qualität allein genügt nicht
 
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