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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0391
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BESPRECHUNGEN.

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Wege abbringt und ängstigt, Bizarres und Absurdes erzeugt, das Erhabene zum
Straucheln bringt und es dem Komischen preisgibt. Das ist eine wichtige Seite die-
ser Ästhetik, und H. Glockner hat sie aufs klarste beleuchtet. Aber wozu wäre der
Hegelianismus gut gewesen, wenn er nicht diese Widersprüche besiegt hätte, wenn
er sie nicht nur dazu so stark unterstrichen hätte, um sie in einer höheren Synthese
aufzuheben? Der Unterschied besteht darin: Für den Aristokraten des Begriffs, der
es vermeidet, sich bei den Grenzen dieses „Anders-Seins" länger als nötig auf-
zuhalten, ist der Sieg leicht gewonnen. Vischer dagegen verweilt hier, läßt sich vom
Zauber dieses irrationalen Urgrundes der physischen und moralischen Welt um-
spielen — da er doch sicher ist, nicht vom Schwindel überwältigt zu werden, sicher,
trotz allem, seinen Weg zurück zu finden.

Das Irrationale ... Diesem Problem hat H. Glockner die sorgfältigsten philo-
sophiegeschichtlichen Untersuchungen gewidmet. Er verfolgt es von dem Moment
an, wo Kant dem Irrationalen durch sein Werk der kritischen Grenzsetzung wenig-
stens negativ seinen Platz angewiesen, durch die Werke von Hamann, Lavater, Her-
der hindurch. Und mehr noch: er zeigt klarsichtig, welchen Sinn für das Irrationale
die großen Betrachter Alexander von Humboldt, Goethe besaßen. Er läßt vor un-
seren Augen die Intuitionen Schellings, Schleiermachers, Baaders, Schopenhauers,
Feuerbachs erstehen und landet endlich bei Dilthey.

Man darf bloß nicht zu weit gehen und eine so richtige Einsicht nicht forcieren,
indem man den geschmeidigen und eindringlichen Analytiker Dilthey zu einem
Philosophen des Irrationalen machen würde. Wir wollen uns damit begnügen, nicht
zu vergessen, wie Dilthey, der so gründlich und dauerhaft den allseitig bestrittenen
Herrschaftsbereich der Geisteswissenschaften absteckte, der mit gleicher Meister-
schaft die Schöpfungsart des Denkers und des Künstlers voneinander abhob und
miteinander verband, damit zugleich die notwendige Unteilbarkeit der
Handlungen des Geistes sicherte und zeigte, daß es nicht nur eine Logik der Ästhe-
tik, sondern auch eine Ästhetik der Logik gibt.

Eben auf dem Weg über die Kunstwissenschaft, die Literaturgeschichte, die
Künstlergeschichte, die Dilthey so eindringlich und liebenswert betreibt, konnte die
Sorge um das Irrationale wieder im Denken der Philosophen Eingang finden. Genau
an diesen Punkt der deutschen Ideengeschichte stellt Glockner Robert Vischer
und sein Werk. Er stellt ihn dar ähnlich begabt wie Dilthey mit den ursprünglichen
Anlagen, die die Philosophen für das Irrationale bestimmen: mit dem ausgeprägten
Sinne für vitale Vorgänge, der Gabe der unmittelbaren Einfühlung, der aktiven
Frische der Empfindung, der Tiefe des Erlebens. Glockner entwickelt mit feinem
Verständnis die Entdeckungen Robert Vischers, deren weitesttragende die „Einfüh-
lung" ist. Sie ist seither von anderen aufgegriffen und unter der Wucht der groben
Schulpsychologie erdrückt worden. Er analysiert das großartige Werk: „Über das
optische Formgefühl", das das Kopfschütteln der „Gründlichen" erregte und ebenso
die Künstler entzückte, wie die Psychologen, die nicht aus dem Laboratorium, son-
dern aus dem Leben schöpften. Er charakterisiert, vielleicht ein wenig flüchtig, die
Begabung dieses Ästhetikers, der später zur Kunstgeschichte kam und ihr Mono-
graphien schenkte, die an Reichtum der Empfindungen, Sicherheit des Blicks, Sinn
für Stil, an Verständnis für große Künstlerpersönlichkeiten und für die subtilen
Unterschiede im technischen Können kaum ihresgleichen haben.

Wenn Robert Vischer noch nicht die Schätzung genießt, die ihm gebührt, so
deshalb, weil er in einer Zeit schrieb, in der die Universitätswissenschaft, die Herrin
der öffentlichen Meinung, Spezialisten verlangte. So fand er sich verbannt in die.
 
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