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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0398
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384

BESPRECHUNGEN.

über ihre Eigenbedeutung hinaus noch eine weitere Funktion zuweisen zu können.
Sie dient zwar nicht dem Ausdruck von „Ideen" (im Sinne von Tendenzwahrheiten),
wohl aber der unmittelbaren Hervorbringung des „bedeutendsten Elementes des lite-
rarischen Kunstwerkes", der sog. metaphysischen Qualitäten oder Wesenheiten. Es
handelt sich dabei um keine „gegenständlichen Eigenschaften im gewöhnlichen Sinne",
sondern um eine „spezifische Atmosphäre", die über den in verschiedenen Situationen
und Ereignissen sich befindenden Menschen „schwebt" und sich in ihnen „offenbart".
Dahin gehören z. B. das Erhabene, das Tragische, das Dämonische, das Groteske.
Es wird „ekstatisch" erschaut und seine Offenbarung hat positiven Wert, auch wenn
das Erschaute unwertig ist. Diese metaphysischen Qualitäten sollen zugleich den
tieferen Sinn des Lebens und die Urgründe des Seins überhaupt konstituieren. Eine
geheime Sehnsucht nach ihnen bildet nach I. die letzte Quelle unserer Taten. Für die
Erfassung solcher metaphysischer Qualitäten bietet nun das literarische Kunstwerk
mit seiner Ruhe und Distanz vom Leser besonders günstige Gelegenheit. Ihre Offen-
barung ist demnach die spezifische Funktion der gegenständlichen Schicht des litera-
rischen Kunstwerkes. Es folgen hier noch einige beachtenswerte Ausführungen über
den Sinn der Wahrheit eines literarischen Kunstwerkes.

In diesen verhältnismäßig kurzen Partien sind freilich die Darlegungen des
Verfassers weder ganz klar noch ganz überzeugend. Man mag die „Offenbarung"
der behaupteten eigenartigen Qualitäten durch die dargestellten Gegenstände durch-
aus zugeben. Aber es ist damit noch nicht ersichtlich, mit welchem Recht sie als
metaphysisch bezeichnet werden, vor allem aber nicht, inwiefern sie Urgründe des
Seins und Sinn des Lebens sind. Es spricht sich in diesen Ausführungen eine eigen-
tümliche metaphysische Erlebnismystik aus, die jedenfalls in dieser Form keine
objektive Geltung beanspruchen kann.

Schließlich wird nach dem vertikalen Querschnitt noch ein horizontaler Längs-
schnitt durch das literarische Kunstwerk gelegt. Besonders eindringlich wird dabei
die Unverschiebbarkeit der aufeinander folgenden Teile eines Werkes nachgewiesen
und der Sinn ihrer Aufeinanderfolge geklärt; sie bedeutet keine bloße zeitliche Suk-
zession, sondern eine Fundierung des späteren Teiles im früheren. Auch die Pro-
bleme der Komposition und der Dynamik des Aufbaus finden hier Erwähnung.

Im dritten und letzten Abschnitt des Buches „Ergänzungen und Konsequenzen"
werden zuerst die anfänglich ausgeschiedenen unklaren Grenzfälle des literarischen
Kunstwerkes untersucht. Es sind das an erster Stelle das aufgeführte Theaterstück im
Unterschied zum unaufgeführten Drama. Es stellt einen von diesem verschiedenen
Typus Kunstwerk dar, in dem z. B. der Nebentext gänzlich fortfällt und reale
Gegenstände in konkreten Ansichten auftreten, die die im Nebentext dargestellten
Gegenstände repräsentieren. Auch durch Vergleich mit dem stummen Film, mit der
Pantomime und mit dem wissenschaftlichen Werk erfährt der Aufbau des literari-
schen Werkes neue Beleuchtung. Es folgen Untersuchungen über das eigentümliche
Leben des literarischen Werkes, die in interessanter Weise der unklaren, bildlichen
Rede von lebendigen und unlebendigen Werken auf den Grund zu kommen suchen.
Zu diesem Zweck wird in Ansätzen etwas wie eine Phänomenologie der Lese-
erlebnisse entwickelt. Es stellt sich dabei heraus, daß das literarische Werk in den
Konkretisationen, die es in der Lektüre erfährt, keinerlei Unbestimmtheitsstellen,
Schematisierungen und Potentialitäten enthält, wie sie die ontologische Analyse fest-
stellte. Das geht so weit, daß nach I.s Auffassung keine Lektüre dem Werk voll
gerecht werden kann. Die Unterschiede von Werk und Konkretisation beziehen sich
dabei vor allem auf die Schicht der Ansichten. Das Leben des literarischen Kunst-
 
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