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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0397
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BESPRECHUNGEN.

383

Die drifte Schicht des literarischen Kunstwerkes, die vom Leser meist aus-
schließlich beachtete Schicht der dargestellten Gegenstände, zeigt bei
der Analyse vor allem einen „äußeren Habitus von Realität, der sozusagen nicht ganz
ernst genommen werden will". Auch der dargestellte Raum, in dem diese Gegen-
stände stehen, unterscheidet sich vom realen Raum, dem er zwar nahe steht, aber
dessen Unbegrenztheit z. B. er nicht teilt. Analoges läßt sich auch für die dar-
gestellte Zeit feststellen. Als charakteristischer Unterschied gegenüber der realen
Zeit zeigt sich vor allem das Fehlen einer bevorzugten Gegenwart. Außerdem ge-
langen im literarischen Kunstwerk immer nur mehr oder minder punktuelle Phasen
der dargestellten Zeit zur Darstellung. Für den dargestellten Raum und ebenso für
die dargestellte Zeit gibt es dabei besondere Orientierungszentra und damit die Mög-
lichkeit verschiedener Darstellungsstile, z. B. Erzählung im Tempus praesens. Be-
merkenswert sind ferner die Ausführungen über solche dargestellte Gegenstände,
die einen bestimmten historischen Vorgang „darstellen" (repräsentieren) sollen.
Diese repräsentierenden Gegenstände treten dann gleichsam verdeckend vor die
repräsentierten. Den radikalsten Unterschied der dargestellten Gegenständlichkeiten
von den realen sieht I. schließlich darin, daß die realen Gegenstände ursprüngliche,
konkrete, eindeutig bestimmte individuelle Einheiten bilden, die dargestellten Gegen-
stände dagegen wesensmäßig „schematische Gebilde" sind mit nicht zu beseitigenden
Unbestimmtheitsstellen; daß diese Stellen im Lesen stets ausgefüllt werden und ihre
Unbestimmtheit erst in der Reflexion zum Bewußtsein kommt, ändert daran nichts.

Bei der vierten Schicht des literarischen Kunstwerkes, den schematisier-
ten Ansichten, handelt es sich um den „Faktor", durch den „die anschau-
liche Erfassung der dargestellten Gegenständlichkeiten vorbereitet werden kann".
Unter „Ansicht" ist dabei etwa zu verstehen die bestimmte Erscheinungsweise, das
anschauliche „Gesicht" oder „Aussehen", das der Gegenstand seinem Beschauer zu-
wendet. Dabei ist freilich zu beachten, daß mit dieser Schicht (entgegen I.s ur-
sprünglichem Plan) kein wesentlicher Bestandteil des literarischen Werkes schlecht-
hin, sondern nur ein solcher des literarischen Kunstwerkes behandelt wird.
Fehlen die Ansichten, so bleiben „leblose papierne Gestalten" zurück, aber das lite-
rarische Werk bleibt als solches bestehen. Zunächst bringt das Kapitel einige kurze,
aber aufschlußreiche Ausführungen über die konkreten Ansichten eines Wahrneh-
mungsgegenstandes. Dabei erweisen sich durchaus nicht alle konkreten Ansichten
als wesentliche Bedingungen für die Selbstgegebenheit eines Gegenstandes; vielmehr
genügt dazu ein gewisses Schema dieser Ansichten. Nur solche schematisierten An-
sichten, die gar nicht imstande sind, die konkreten Ansichten des Autors in sich auf-
zunehmen, können in das literarische Werk eingehen. Sie werden dort durch bildliche
Vergleiche, onomatopoetische Ausdrücke und ähnliches „paratgehalten". Auch bei
seelischen Gebilden glaubt I. solche Ansichten feststellen zu können. — Die Rolle
der schematisierten Ansichten im literarischen Kunstwerk ist wiederum eine doppelte.
Sie dienen einmal dazu, die dargestellten Gegenstände in bestimmten Erscheinungs-
weisen für die anschauliche Erfassung parat zu halten, wobei sich je nach der Art
der gebotenen Ansichten und ihrer eigentümlichen dekorativen Momente neue charak-
teristische Unterschiede der Darstellung ergeben. Davon abgesehen besitzen die An-
sichten als eigene Stimme des literarischen Kunstwerkes spezifische ästhetische
Wertqualitäten und eigenartige Stile.

Die Funktion der drei Schichten der sprachlichen Lautgebilde, der Bedeutungs-
einheiten und der schematisierten Ansichten scheint hiernach in der Entwerfung
der gegenständlichen Schicht zu terminieren. Allein I. glaubt auch dieser Schicht
 
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