Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

DOI article:
Besprechungen
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0407
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
BESPRECHUNGEN. 393

bergs eignes Leben hinter den Figuren, seine ganz eigenartige Einstellung Mann
und Frau gegenüber, und hierzu ein für einen Nordländer ungewöhnlich leiden-
schaftliches Temperament. Daß die Hauptfiguren sich zum Typischen hin steigern,
beweist nur, daß jedes große Kunstwerk, ob naturalistisch oder expressionistisch,
nicht beim Einzelfall stehen bleiben kann, sondern unbewußt über seine eigenen
Grenzen hinauswächst. Der Vater und Fräulein Julie bleiben die naturalistischen
Hauptwerke Strindbergs auf dem dramatischen Gebiete.

Was das Totentanzdrama betrifft, so weiß ich offen gestanden nicht, wer es zu
den naturalistischen Werken gezählt haben könnte. Dahlström hat die Liebenswür-
digkeit, auch mein Handbuch zu Strindbergs Dramatik zu zitieren, aber ich habe
den Gegensatz zu den naturalistischen Ehedramen ausdrücklich hervorgehoben. Was
das Werk von Martin Lamm betrifft, das vom Verfasser sehr ausgiebig angezogen
wird, so schreibt Lamm zwar zuerst, daß der Totentanz in seinem Naturalismus am
ehesten als ein Gespenst aus den achtziger Jahren wirkt, hebt aber gleich hierauf
hervor, wie es auch auf die Kammerspiele vordeutet. Es verhält sich doch so, daß
Strindbergs Gesamtproduktion nach der Infernokrise sich änderte, weil seine Welt-
anschauung eine andre wurde; sie schwankt zwar noch immer, aber der mystische
Einschlag bricht durch; das ständige Suchen nach einer religiösen Deutung unter-
scheidet diese Periode von der naturalistischen. Das Totentanzdrama ist nun beson-
ders dazu angetan, als Studienobjekt zu dienen, inwiefern sich nicht naturalistische
Elemente mit, sagen wir expressionistischen mischen. In der Tat haben wir es wieder
mit einem Musterbeispiel zu tun, denn alle Vorgänge wirken zuerst völlig real auf
uns und sind auch so gemeint, nur daß oft genug der doppelte Boden sich enthüllt
und der Weg ins Land der Mystik beschritten wird mit der Frage: was ist denn
eigentlich der tiefere Sinn unsrer Qualen?

Bei der schematischen Art des Verfassers gehen gerade diese feineren Werte
oft genug verloren. Wenn er erklärt, die Totentanzfiguren würden sehr gut in
einem deutschen Expressionistendrama wirken, kommt man auf die Frage zu
sprechen, ob Strindberg denn überhaupt ein typischer Expressionist gewesen ist?
Auch hier möchte ich vorsichtig sein und eher von einem stilisierten, gedämpften
Expressionismus sprechen, wobei ich gern den deutschen Dramatikern wie Georg
Kaiser und Fritz von Unruh den Vorrang gebe. Das Genie Strindbergs ist zu
unruhig, zu geladen, zu voll von Widersprüchen, als daß es eine immerhin be-
grenzte Bewegung allein ausdrücken könnte. Oder wäre es denkbar, daß Strindberg
ein so kühles Produkt wie das Drama Georg Kaisers mit dieser abstrakten Sprache
hätte schreiben können? Auch das Damaskusdrama ist doch kein typisches Bei-
spiel für ein expressionistisches Drama; es zeigt viele Sprünge und Risse, und wer
weiß, ob sie nicht gerade aus der Mischung der zwei Richtungen herrühren. Gewiß
handelt es sich hier um den Ichspieler, um Ausstrahlungen des Ichs wie in keinem
Drama vor Strindberg, und doch kann ich nicht finden, daß alle Gestalten nur
mit dem Wesen des Helden verwandt sind, nur durch ihn und in ihm leben. Sogar
das Traumspiel, das mit Recht die Urzelle des deutschen Expressionismus genannt
worden ist, hat doch weit mehr Wirklichkeitsstoff als ein deutsches Erzeugnis.

Hier stellt sich nun eine andre Frage ein: soll die ganze Richtung auf lite-
rarischem Gebiete nach dem Lehrmeister oder den zahlreichen Schülern beurteilt
werden? Der amerikanische Verfasser hat es sich leicht gemacht: er schildert
zuerst den deutschen Expressionismus und geht, nachdem er das Wesen des Expres-
sionismus bestimmt hat, auf Strindberg über. Ich sehe hier einen methodischen
Fehler; der umgekehrte Weg wäre der bessere gewesen, indem man vor-
urteilslos hätte nachweisen müssen, was das eigentlich Neue, das Andre in Strind-
 
Annotationen