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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Klees, Hubert: Über das Wesen des Tragischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0017
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ÜBER DAS WESEN DES TRAGISCHEN.

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Maße geeignet ist, Führerin bei der Reflexion über das Wesen des Tra-
gischen zu sein. Der Dichter ist es, der die Menschheit sichtig gemacht
hat für das Phänomen des Tragischen. Auch hier läßt sich das Wort
Schillers anwenden, „daß sich die philosophierende Vernunft weni-
ger Entdeckungen rühmen kann, die der Sinn nicht schon dunkel geahnt,
und die Poesie nicht geoffenbart hätte"").

Einführung in das Problem. Aus der Struktur des Seins
ergibt sich die prinzipielle Möglichkeit, daß das Tragische in verschie-
denen Schichten des Seins auftreten kann. Wir müssen daher zunächst
untersuchen, an welcher Stelle des Seins das Tragische verankert ist,
welchen Träger es voraussetzt, an dem es in Erscheinung treten kann.

Das Prädikat „tragisch" läßt sich in verschiedenem Sinn aussagen.
So sprechen wir von tragischen Konflikten und tragischen Leiden und
meinen damit Geschehnisse in der Wirklichkeit. Ist ferner ein Mensch
seinem inneren Wesen nach zu solchen Konflikten veranlagt, so nennen
wir ihn ebenfalls tragisch. Da diese Bedeutung von tragisch sich an die
erste anlehnt, bedarf sie keiner besonderen Untersuchung. Einen dritten
Prädikationssinn haben wir, wenn wir sagen, ein Schauspiel oder eine Er-
zählung sei tragisch. Tragisch ist eine Dichtung nicht nur, weil sie einen
tragischen Vorgang, soweit er eben wirklich oder möglich ist, wiedergibt;
denn es gibt auch Schilderungen von tragischen Vorgängen, die keine
Dichtung, kein Kunstwerk sind, wie z. B. manche Zeitungsberichte, die
wir deshalb auch nicht als „tragische" Berichte zu bezeichnen pflegen.
So ist auch die Tragödie nicht die bloße Schilderung eines tragischen
Vorgangs, und der Wert des Tragischen haftet nicht bloß dem künstle-
risch dargestellten tatsächlichen oder möglichen Vorgang als solchem,
also dem Stoff an, sondern wir erleben ihn als die Frucht einer eigen-
artigen Verbindung von tragischem Stoff und dichterischer Form. Es
tritt damit eine eigene Gesetzmäßigkeit in Kraft, nach der sich das Tra-
gische im Kunstwerk entfaltet.

Wir haben hier einen Sonderfall des allgemeinen ästhetischen Pro-
blems, wie sich die Wirklichkeit und Kunst (soweit in ihr die empirische
Wirklichkeit dargestellt wird) hinsichtlich ihrer ästhetischen Bedeutung
unterscheiden. Auf zwei wichtige Unterscheidungsmerkmale sei hier ein-
führend hingewiesen7). Erstens muß man der Kunst im Gegensatz zur

6) „Ober Anmut und Würde", WW, Cotta 1867, S. 1143.

T) Wir verweisen auf die grundlegenden Auseinandersetzungen mit diesem Pro-
blem bei E. Utitz, Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Stuttgart I.
1914, II. 1920, und bei M. D e s s o i r, Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft,
Stuttgart 1923. Dazu vgl. man auch A. Hildebrand, Das Problem der Form
(Straßburg 1913). Was Hildebrand hier speziell von der bildenden Kunst sagt,
läßt sich im allgemeinen auch auf die ganze „imitative" Kunst anwenden. Dabei
 
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