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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Rischowski, Edith: Formprobleme der Porzellanplastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0114
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BEMERKUNGEN.

ästhetischen Wert verliert, und einer Kleinheit, mit der der gleiche Verlust eintritt.
Vielmehr und viel tiefer als es bewußt zu werden pflegt, bilden die Formen und
der Maßstab eine ganz untrennbare Einheit des ästhetischen Eindrucks; und eine
Form offenbart ihr ästhetisches Wesen von seiner Wurzel her daran, wie sich ihre
Bedeutung mit Änderung ihres Größenmaßes wandelt." — Nimmt man nun auch als
Regel jene Form der Anlehnung an, die das Modell so benützt wie gestochene oder
gezeichnete Vorlagen, so wird die Möglichkeit der getreuen (oder selbst ein-
geschränkt getreuen) Vergrößerung oder Verkleinerung, die durch die belegten Fälle
sich ergibt, auf die Ästhetik der Barock- und Rokokokunst in ihrer Eigentümlichkeit
ein deutliches Licht werfen. Während nämlich die griechische Plastik dem Format
einen unantastbaren Wert zuerkennt, übergeht die Barockplastik ihn offenbar völlig
oder doch sehr weitgehend. Der Fall ist nicht für die Porzellanplastik allein be-
zeugt. Auch Permoser griff für großplastische Arbeiten auf frühere Kleinplastiken
zurück. Die monumentalen Jahreszeitenfiguren in den Nischen des südöstlichen
Torturms des Zwingers in Dresden sind Übertragungen von früheren Elfenbein-
statuetten (im Grünen Gewölbe). Motivisch am treuesten die Gestalt des Winters,
während der Herbst eine statuarisch gestillte Abwandlung des in lebhafter Kontra-
postierung und interessanter Drehung gebildeten Elfenbein-Herbstes darstellt. Die
weiblichen Figuren zeigen nur noch ungefähre Anlehnung (Abbildungen bei
Michalski, Permoser: Elfenbeinfolge: Abbildung 15—18, Zwingerstatuen: Ab-
bildung 62—65). Diese Gegensätzlichkeit ist nicht zufällig, sondern läßt sich aus
der Gesamthaltung der Epoche gegenüber dem menschlichen Dasein ableiten. Da
für die klassische Zeit der Mensch in seiner biologischen Existenz das Maß aller
Dinge ist (wie es auch A. Schmarsow treffend ausdrückt: „Die Lehre des alten
Griechen, das Maß aller Dinge sei der Mensch, ist aus dem Geiste der künst-
lerischsten Nation entsprungen. Der Satz gilt im Reiche der Künste ohne Wider-
spruch, ja, er ist die Grundlage für ihr Verständnis"), muß für sie und alle an
ihr orientierten Epochen natürliche Größe die kanonische Norm bedeuten. Gibt es
nun aber eine solche Optimal-Zone, so sind die darunter oder darüber befindlichen
Maßstäbe minderen Ranges. Darum gilt für klassische Perioden nicht nur, daß
die Wiederholung in einem anderen als dem ursprünglichen Maßstab die ursprüng-
liche Formidee verändert, sondern es wird überdies eine Wertskala gesetzt.
Keineswegs kann eine allgemeine Geltung dieser ästhetischen Norm, dieses Kanons
angenommen werden. Die Wandelbarkeit aller idealen Forderungen, gewiß auch des
Kunstideals gehört zum Wesen der Geschichte. Offenbar kann für die Barockzeit eine
solche Norm und Wertskala nicht angenommen werden. Und ihre Ästhetik
dürfte sich insofern füglich aus dem Gegensatz zur Klassik ergeben. Die Bedeutsam-
keit des Formates ist in ihrer objektiven Wirksamkeit selbstverständlich nicht aufzu-
heben, insofern sie nämlich bestimmte Wirkungen für den Augenschein bedingt; in
ihrer subjektiven Geltung jedoch, d. h. in der Bewertung, die der Künstler oder
die Zeit ihr zukommen läßt, ist für die Barockzeit eine starke Einschränkung an-
zunehmen. Darin liegt gerade ein charakteristisches Stilmerkmal der Epoche.

An einem Beispiel läßt sich verdeutlichen, wie weit ab von Maßbestimmtheit
das Barock gestaltet. Die ungeheuren Dimensionen etwa der Peterskirche, die
Höhe der Tabernakelsäulen des Bernini werden in ihren räumlichen Ausmaßen
vom Menschen nicht erfaßt. Auf dem Umweg über die zeitraubende Durchschrei- ^
tung erst wird die Tatsache erfaßt, primär ist die Wirkung nicht da. Die 3
übergroßen Dimensionen stehen gleichsam für sich und ohne Bezug auf den Be- g
schauer — für eine Zeit der betonten Illusionsschaffung eine bemerkenswerte Hai- s
tung. Erklärungen können schwerlich versucht werden, doch wird man, ohne allzu 5
 
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