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BEMERKUNGEN.
gliedernden, ordnenden Haltung klassisch gerichteter Kunststile die Wertung be-
stimmter Maße und die Einbeziehung solcher Wertungen in ein Ordnungsprinzip
entspricht. Mit Vorbedacht wird hier der Ausdruck „Maßunbestimmtheit" (dafür
auch Maßstabindifferenz) gewählt zur Kennzeichnung des Sachverhalts, der nicht
in Mißverhältnissen von Größenelementen zueinander, sondern in der mangelnden
Bezugnahme auf den leicht faßlichen menschlichen Maßstab besteht. Der Bezugs-
punkt nämlich ist ein dynamischer. Schwingungen von Raumwerten (Lichtströmen
vergleichbar, die ja ihrerseits in die Konzeption einbezogen sind), welche irrational,
d. h. nicht meßbar sind von Seiten der auf tastbare Maße angewiesenen und auch
den Augenschein auf ein tastbar zu denkendes Maß beziehenden ratio — dem
Gefühl aber zugänglich als „Valeurs", als dynamische Werte (die, wenn man will,
auch malerisch genannt werden könnten): also meßbar ohne Maßsystem, ohne
Skala, die der ratio zugänglich wäre —; sie bezeichnen den künstlerischen Aus-
druck des 17. und 18. Jahrhunderts. Für die Plastik deutlich ausgedrückt und
faßbar wird dies in der Stellung der Plastik im und zum Raum. Schmarsow
bezeichnet eindeutig den wesentlichen Grundzug klassischen Gefühls: „Die Plastik
ist Darstellung unseres organischen Körpers nach seiner bleibenden Bedeutung,
also auch ohne Beziehung zu einem umgebenden Raum, der diesen Körper be-
dingen, beeinträchtigen und in die Abhängigkeit vom allgemeinen Strom des Ge-
schehens hinausziehen könnte." (Schmarsow a. a. O.) Dies ist das Verhältnis
zum Raum: Isolierung. Der Standort im Raum charakterisiert sich als gerahmte
Position, die eine Schauseite und somit einen relativ bestimmten Betrachtungsort
voraussetzt, von dem aus wiederum die Abgrenzung gegen die Umwelt fühlbar
wird, gegen all das, was zwar mitgesehen werden soll, jedoch quasi als Leere dem
Erfüllten gegenüber, als raumlos dem Räumlich-Plastischen gegenüber, als Zweit-
randiges, Dienendes, als Rahmung und als Maßstab für das Plastisch -Tast-
bare der Figur. So ist notwendig die Einheit des Ideals gegeben, das Zuständ-
liche und seine bleibende Bedeutung zu gestalten; das ist das grundsätzlich statische,
darüber hinaus notwendig tektonische Grundgefühl. Für das Barock und Rokoko
hingegen tritt das Bewegungsproblem in den Vordergrund und in dem
fluktuierenden Strom sind dynamische Werte an die Stelle statischer Meßbarkeit
getreten. Wenn Bernini „bei Gruppenbildungen den realen Tiefenraum mit seinen
atmosphärischen Qualitäten einbezieht als einen den Totaleindruck der plastischen
Formen bestimmenden und modifizierenden Faktor (Werner Weisbach, „Die Kunst
des Barock"), so ist damit paradigmatisch die Gegensätzlichkeit gefaßt, die weiter-
hin der absoluten Einbindung der Einzelfigur in den sinnhaften und formalen
Zusammenhang einer Ganzheit sich kundtut — von antikisch-klassizistischer Ein-
stellung aus gesehen ein erniedrigender Abstieg in das rein Dekorative, wie etwa
für Schmarsow, — richtig verstanden aber nichts anderes, als jener dem Barock
eigentümliche Zug zum Irrationalen, in dem (Weisbach a. a. O.) „für momentane
Stimmungen, schwebende Zustände, das nicht faßbar Gleitende, Unbestimmte bild-
liche Korrelate geboten werden".
BEMERKUNGEN.
gliedernden, ordnenden Haltung klassisch gerichteter Kunststile die Wertung be-
stimmter Maße und die Einbeziehung solcher Wertungen in ein Ordnungsprinzip
entspricht. Mit Vorbedacht wird hier der Ausdruck „Maßunbestimmtheit" (dafür
auch Maßstabindifferenz) gewählt zur Kennzeichnung des Sachverhalts, der nicht
in Mißverhältnissen von Größenelementen zueinander, sondern in der mangelnden
Bezugnahme auf den leicht faßlichen menschlichen Maßstab besteht. Der Bezugs-
punkt nämlich ist ein dynamischer. Schwingungen von Raumwerten (Lichtströmen
vergleichbar, die ja ihrerseits in die Konzeption einbezogen sind), welche irrational,
d. h. nicht meßbar sind von Seiten der auf tastbare Maße angewiesenen und auch
den Augenschein auf ein tastbar zu denkendes Maß beziehenden ratio — dem
Gefühl aber zugänglich als „Valeurs", als dynamische Werte (die, wenn man will,
auch malerisch genannt werden könnten): also meßbar ohne Maßsystem, ohne
Skala, die der ratio zugänglich wäre —; sie bezeichnen den künstlerischen Aus-
druck des 17. und 18. Jahrhunderts. Für die Plastik deutlich ausgedrückt und
faßbar wird dies in der Stellung der Plastik im und zum Raum. Schmarsow
bezeichnet eindeutig den wesentlichen Grundzug klassischen Gefühls: „Die Plastik
ist Darstellung unseres organischen Körpers nach seiner bleibenden Bedeutung,
also auch ohne Beziehung zu einem umgebenden Raum, der diesen Körper be-
dingen, beeinträchtigen und in die Abhängigkeit vom allgemeinen Strom des Ge-
schehens hinausziehen könnte." (Schmarsow a. a. O.) Dies ist das Verhältnis
zum Raum: Isolierung. Der Standort im Raum charakterisiert sich als gerahmte
Position, die eine Schauseite und somit einen relativ bestimmten Betrachtungsort
voraussetzt, von dem aus wiederum die Abgrenzung gegen die Umwelt fühlbar
wird, gegen all das, was zwar mitgesehen werden soll, jedoch quasi als Leere dem
Erfüllten gegenüber, als raumlos dem Räumlich-Plastischen gegenüber, als Zweit-
randiges, Dienendes, als Rahmung und als Maßstab für das Plastisch -Tast-
bare der Figur. So ist notwendig die Einheit des Ideals gegeben, das Zuständ-
liche und seine bleibende Bedeutung zu gestalten; das ist das grundsätzlich statische,
darüber hinaus notwendig tektonische Grundgefühl. Für das Barock und Rokoko
hingegen tritt das Bewegungsproblem in den Vordergrund und in dem
fluktuierenden Strom sind dynamische Werte an die Stelle statischer Meßbarkeit
getreten. Wenn Bernini „bei Gruppenbildungen den realen Tiefenraum mit seinen
atmosphärischen Qualitäten einbezieht als einen den Totaleindruck der plastischen
Formen bestimmenden und modifizierenden Faktor (Werner Weisbach, „Die Kunst
des Barock"), so ist damit paradigmatisch die Gegensätzlichkeit gefaßt, die weiter-
hin der absoluten Einbindung der Einzelfigur in den sinnhaften und formalen
Zusammenhang einer Ganzheit sich kundtut — von antikisch-klassizistischer Ein-
stellung aus gesehen ein erniedrigender Abstieg in das rein Dekorative, wie etwa
für Schmarsow, — richtig verstanden aber nichts anderes, als jener dem Barock
eigentümliche Zug zum Irrationalen, in dem (Weisbach a. a. O.) „für momentane
Stimmungen, schwebende Zustände, das nicht faßbar Gleitende, Unbestimmte bild-
liche Korrelate geboten werden".