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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Passarge, Walter: Zum Stilproblem in der Bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0185
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BEMERKUNGEN.

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natürlichen, geistigen Charakter tragen. Im letzteren Fall ist freilich eine adäquate
„Abbildung" nicht möglich: eine rein geistige Vorstellung kann nicht un-
mittelbar dargestellt, sondern nur durch ein Zeichen, ein Symbol versinnbild-
licht werden. Soll das Geistige irgendwie dargestellt werden, so bietet sich dem
Bildner als Substrat nur die sinnliche Außenwelt, die aber nun durch weitgehende
Abstrahierung, formal ausgedrückt: durch eine Vereinfachung auf das Wesentliche,
durch eine weitgehende Typisierung aus dem Zeitlichen ins Ewige, aus dem Bedingten
ins Unbedingte erhoben wird. Die Dinge erscheinen aus der empirischen Wirklich-
keit und ihren konstitutiven Bedingungen oder „Formen" — Raum, Zeit, Kausalität
— herausgelöst oder vielmehr: sie werden überhaupt nicht unter diese Bedingungen
gestellt. Am reinsten ist diese Gestaltungsweise in der Kunst der Naturvölker ver-
wirklicht, die Danzel folgendermaßen charakterisiert: „Wohl machen sich in der
Kunst des „Homo divinans" Beziehungen zur Erscheinung überall geltend. Aber die
Beziehungen zur „Bedeutung", zu einem Gehalte, der der geistigen Innenwelt ent-
stammt sind doch stärker ... als in unserer Kunst. Die Idole z. B. bedeuten etwas,
das in ihrer Darstellung für uns sich nicht unmittelbar ausprägt, das gewußt, ge-
deutet werden muß. Freilich spricht sich das Metaphysische solchen Gehaltes wohl
in der feierlichen Strenge der Formgebung und der Symmetrie aus"28).

Erst die auf der unmittelbaren Anschauung der sinnlichen Erscheinungswelt
begründete Kunst — wie etwa die der neueren Zeit — hat das Bestreben, die Dinge
in einem geschlossenen räumlichen Zusammenhang zu erfassen. Die geistige Vor-
aussetzung für eine solche Darstellungsweise aber ist die Spaltung des Bewußtseins
in Ich — und Nicht-Ich, in Subjekt und Objekt, die es für das „existentielle Ver-
halten" des Primitiven nicht gibt, das gerade durch eine „unscharfe Begrenzung der
Wirklichkeitsphären" ausgezeichnet ist2"). Während sich dieses existentielle Erleben
in den unteren Volksschichten forterbt und in der „Volkskunst" die naturalistischen
Formen der „hohen" oder „Stilkunst" immer wieder ins Typische, Allgemeine, Orna-
mentale umgebogen werden30), vollzieht sich in der Kunst der Spätkulturen wie im
Denken so auch in der Kunst der „unerbittliche Prozeß der Vergegenständ-
lichung"'11). Die Formen der Natur werden jetzt als solche Darstellungsobjekt und
damit Bedeutungsgehalt. Die Bedeutung liegt hier nicht mehr hinter den Dingen,
sondern in ihnen. Dem „konsequenten Naturalisten" ist der Gegenstand, etwa eine
Handvoll Äpfel, genau so wichtig, genau so bedeutungsvoll wie dem metaphysischen
„Idealisten" eine religiöse Vision.

Die Frage nach dem Was der Darstellung ist früher ebenso überschätzt worden,
Wie sie heute vielfach unterschätzt wird. Eine kunstphilosopliische oder kunst-
geschichtliche Untersuchung, die nur die rein formalen Werte betrachtet, vermag
dem Kunstwerk und damit auch seinem Stil niemals gerecht zu werden — um sc
weniger, als diese formalen Werte stets „durch den im Kunstwerk dargestellten

w) a. a. O. 122 ff. — Vgl. dazu Frobenius: „Die Kunstgegenstände" (der
naturvölkischen Kunst) „entspringen eben nur dem Bedürfnis, Ideen zur plastischen
Darstellung zu bringen". Zitiert nach: Ernst Vatter, Religiöse Plastik der Natur-
völker, Frankfurt a. M. 1926, S. 11.

-'") H. Mayer-Groß, Das Problem der primitiven Denkformen. Philos. Anzeiger
IV. Jahrg. H. 1. Bonn 1930.

:l") Vgl. Kurt Freyer, Zum Problem der Volkskunst. Monatshefte für Kunst-
wissenschaft, Bd. IX, 1916, S. 215 ff. Artur Haberlandt, Begriff und Wesen
der Volkskunst, Jahrb. für histor. Volkskunde Bd. II. Vom Wesen der Volkskunst
S. 20—32. Karl Spieß, Bauernkunst, ihre Art und ihr Sinn. Wien 1925.

31) H. Mayer-Groß a. a. O. Zitat nach Jaspers.
 
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