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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Flechtner, Hans Joachim: Das Berufsproblem in der Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0189
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BEMERKUNGEN.

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die jeder für sich entscheiden muß, die ihn allein bedrängen und in deren Lösung er
meistens auf sich selbst gestellt ist. Für die dichterische Gestaltung bleiben zwei
Möglichkeiten. Entweder wird der Kampf in der Brust des Einzelnen auch wirklich
dargestellt („Leutnant Gustl" und „Fräulein Else" von Schnitzler sind Beispiele)
oder aber der Dichter gestaltet die Spiegelung dieses Kampfes in der Allgemeinheit.
(„Hamlet".)

Die zweite Darstellungsform leitet über zum nächsten Stoffgebiet:

Der Einzelne und die Allgemeinheit: Der Wille des Einzelnen
setzt sich in Gegensatz zum Willen der Allgemeinheit, die daraus entstehenden
Konflikte bilden den Stoff der Dichtung. (Im Sinne Hebbels die eigentliche Domäne
der dramatischen Dichtung.) Diese Konflikte können nun ethischer Natur sein (ein
besonders drastisches Beispiel der „Michael Kohlhaas", auch „Raskolnikow" gehört
hierher) oder sich auf rein soziale Gegensätze zuspitzen.

Das Verhältnis von Mensch zu Mensch: Das Hauptstoffgebiet
alles dichterischen Schaffens. Alle menschlichen Verhältnisse, wie Mann und Frau,
Vater und Sohn, Geschwister, Freunde usw. sind unzählige Male durchgearbeitet
und gestaltet worden.

Dieser ersten Gruppe von dichterischen Stoffgebieten, die durch die erwähnten
drei Typen natürlich weder systematisch noch erschöpfend dargestellt ist, treten die
Berufsprobleme als eine zweite Gruppe gegenüber. Der Berufsmensch, sei er nun In-
genieur, Künstler, Gelehrter, steht mit seinem Wollen und Schaffen eingespannl in
ein bestimmtes Kultursystem und unterliegt den Gesetzen, die dieses System be-
herrschen. So eng diese Probleme auch mit den allgemein-menschlichen verbunden
sein mögen, rechtfertigt sich doch ihre Sonderstellung in unserer Untersuchung durch
die schon erwähnte Schwerpunktsverlegung. Es gibt Dichtungen und dichterische
Helden, deren Schicksale völlig unabhängig davon sind, ob der Held Arzt oder Leh-
rer, Lebemann oder Gelehrter ist. Es gibt aber ebenso scharf herausgehobene Pro-
bleme, bei denen die Zugehörigkeit zu einem Kultursystem oder einem bestimmten
Beruf gerade von wesentlicher Bedeutung für die Gestaltung des Schicksals ist. So
hat es zu allen Zeiten derartige Darstellungen von Berufsschicksalen gegeben, und es
ist interessant zu sehen, welche Berufe dabei vorwiegend herangezogen werden und
wie dabei wieder der Beruf zurückwirkt auf die Gestaltung des Ganzen.

So ist es leicht verständlich, daß Werke, in denen die tragende Figur Ingenieur
oder Naturwissenschaftler ist, gern ins Phantastische umbiegen. Der Berufswille des
Technikers geht eben auf die Erfindung — und unter diesem Zwange läßt der Dich-
ter seine Phantasie spielen und endet mit ziemlicher Sicherheit in der Phantastik.
Der Künstler ist stets ein von Dichtern bevorzugter „Beruf" gewesen und wird es
auch immer bleiben. Zu nahe liegen hier die Möglichkeiten, aus dem eigenen Dasein,
aus dem eigenen Schaffen heraus Probleme und Stoffe zu finden, verbunden mit dem
Wunsche, für bestimmte künstlerische Anschauungen Propaganda zu machen. (Man
denke nur an Wagners Novellen: „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven" und „Ein deut-
scher Musiker in Paris".)

Wir nennen eine Anzahl von Dichtungen, die hierher gehören, um in großen
Umrissen das gemeinte Gebiet abzustecken:

Der Künstler: „Johann Christoph" von Romain Rolland, „Michael" von
Hermann Bang, „Einhart der Lächler" von Carl Hauptmann. Der Priester:
»Der Ketzer von Soana" von Gerhart Hauptmann, „Die Versuchung des Priesters
Anton Berg" von Jakob Stab, „Der Stein der Weisen" von Anker-Larsen. Der
Lehrer: „Rektor Kleist" von Georg Kaiser, „Verwirrung der Gefühle" von
Stefan Zweig. Der Arzt: „Helfer der Menschheit" von Helmuth Unger, „Etzel
 
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