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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0233
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BESPRECHUNGEN.

219

die beherrschende Form der Erzählung, zu einer Unterbrechung der Gespräche
wurde. Der Stil der Gespräche selbst wird realistisch und individuell gestaltet,
vielfach auch durch dialektische Färbung, durch das Thema der Gespräche werden
allgemeine Fragen der Zeit in den Roman hineingezogen. Das Gespräch erhält
schließlich im Roman eine ähnliche Bedeutung für die Handlung wie im Drama,
wenn auch seine künstlerische Bedeutung und seine Form sich immer von der
dramatischen unterscheiden. Als stilistisches Problem ergibt sich in dieser Entwick-
lung vor allem die Schwierigkeit, die Stileinheit zwischen Gesprächs- und Text-
Partien aufrecht zu halten. Weiterhin werden dann die persönlichen Voraussetzun-
gen für die besondere Gesprächskunst Fontanes erörtert: gesellige Kultur, persön-
liche Veranlagung und literarische Einflüsse.

Der 2. Abschnitt behandelt die Entwicklung der Gesprächstechnik in Fontanes
Romanen. Es wird zunächst gezeigt, wie die Romanhandlung ganz vorwiegend in
den Gesprächen dargestellt wird, und wie sich die Tendenz, das Hauptgewicht in
die Gespräche zu legen, im Lauf der Entwicklung noch verstärkt; eine Statistik
veranschaulicht, daß sich die Gespräche in den späteren Romanen noch auf einen
größeren Kreis von Personen verteilen, und in den letzten Romanen läßt sich
beobachten, daß die Gespräche innerhalb des Romanaufbaues selbständiger werden.
Die Untersuchung der epischen Einordnung der Gespräche zeigt, daß Fontane diese
Einordnung bewußt durchführte und sich dafür meist der indirekten Rede bediente.

Die Verfasserin untersucht dann die Bedeutung der Gespräche für den Roman-
inhalt. Sie unterscheidet Handlungsgespräche, Expositionsgespräche und Genre-
szenengespräche und führt aus, wie in ihnen die Handlung des Romans dargestellt
wird. Als die wichtigste Funktion des Gesprächs erscheint dann die Charakterisie-
rung der Gestalten, die in der verschiedensten Weise, direkt und indirekt, durch die
Form und durch den Inhalt der Gespräche erfolgt. Die vielfältigen Mittel, mit denen
hier Fontanes Kunst in wachsender Verfeinerung arbeitet, werden verständnisvoll
und mit guter Beobachtung herausgehoben. Das letzte Kapitel ist den Causerien
gewidmet, den Gesprächen, die nicht in ihrem ganzen Inhalt streng an die Handlung
gebunden sind, sondern um ihrer selbst willen geführt werden und deren Selb-
ständigkeit in den letzten Werken größer wird. Die Themen dieser Gespräche
können verschiedenster Art sein, sehr oft sind es Zeitfragen, und es läßt sich
nachweisen, daß sie häufig an gedruckte Vorlagen und Zeitereignisse anknüpfen.
Die Verfasserin glaubt in ihnen hauptsächlich die Darstellung persönlicher An-
schauungen Fontanes zu erkennen. Für die Technik der Causerien ist von beson-
derem Interesse, daß aus den Manuskripten Fontanes gezeigt wird, wie er sich die
Themen für Gespräche zunächst notierte, ohne sich über ihre Stelle im Roman und
über die Personen, denen sie in den Mund gelegt werden sollten, schon klar zu sein.
Die Gestaltung dieser freien Gespräche, die als das typisch Fontanische erkannt
werden, entwickelt sich allmählich zu immer größerem Reichtum.

In der Schlußbetrachtung stellt die Verfasserin einen Widerspruch zwischen
dem vor ailem in den Causerien zum Ausdruck kommenden Subjektivismus Fon-
tanes und der Darstellungsform der Gespräche, die an sich realistisch sei und die
objektive Wirklichkeit geben solle, fest. Die Erklärung dafür sieht sie in dem
Glauben Fontanes an eine Wertordnung, das heißt an eine Gesellschaftsordnung,
der zu Liebe alle tragischen Ausgänge in seinen Dichtungen erfolgen.
 
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