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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0234
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220

BESPRECHUNGEN.

So interessant die zahlreichen Einzelergebnisse der Untersuchung sind, es
bleibt am Schluß doch der Eindruck, daß das Thema nicht voll ausgeschöpft wor-
den ist, daß die künstlerische Bedeutung der Gespräche in Fontanes Romanen nicht
in ihrem vollen Umfang erkannt ist, und daß sich daraus auch die etwas unklaren
und fragwürdigen Schlußfolgerungen erklären.

Zunächst einmal wäre zu fragen, ob man sich so ohne weiteres die Auf-
fassung zu eigen machen kann, daß der Dialog im Roman an sich etwas Realisti-
sches sei. Daraus, daß Vertreter des realistischen Romans die häufige Anwendung
direkter Rede bevorzugten, ergibt sich das doch noch keineswegs. Es würde das
ja bedeuten, daß die dramatische Form realistischer sei als die epische, oder
daß im nicht realistischen Epos der Dialog unmöglich sei. Tatsächlich aber hat
es ja den Dialog in der epischen Dichtung immer gegeben, auch im Versepos,
in der Ilias und Odyssee finden sich sehr ausgedehnte Reden und Gespräche. Es
wäre also nicht einzusehen, weshalb nicht der Epiker genau so gut wie der Drama-
tiker im Dialog subjektive Anschauungen gestalten könnte. Aber die zweite Frage
ist, ob denn wirklich in Fontanes Gesprächen nur subjektive, oder, wie auch gesagt
wird, persönliche Interessen und Gedanken des Dichters, die mit dem objektiven
Romanzusammenhang nichts zu tun haben, zum Ausdruck kommen. Hier scheint
mir eben die Funktion dieser Gespräche innerhalb des Romans verkannt worden
zu sein. Um sie richtig zu erkennen, wäre es vielleicht gut, einmal zu fragen: was
steht denn bei Fontane eigentlich nicht im Gespräch? Sehr wenig, wie die Unter-
suchung ergeben hat; die Berichtpartien sind im Wesentlichen nur der Rahmen um
die Gespräche. Und weshalb? Offenbar, weil Fontane in rein erzählender Form
nichts zu berichten hatte. Das Heldenepos berichtet von kriegerischen Ereignissen,
von Fahrten und Abenteuern, der große Roman des 19. Jahrhunderts von sozialem
und politischem Geschehen. Bei Fontane aber konzentriert sich das Interesse, wie
in der Arbeit festgestellt wurde, auf seelische Vorgänge, auf das, was sich zwischen
einzelnen Menschen abspielt. Damit ist die Gesprächsform als die beherrschende
gegeben. Freilich ist das Interesse noch nicht ein rein psychologisches, das bedingt
wieder, wie in einer Anmerkung einmal richtig bemerkt wird, eine stärkere Betonung
der erzählenden Partien, die dann, wie oft im modernen Roman, zur psychologischen
Studie werden. Der Gegenstand von Fontanes Dichtung sind seelische Vorgänge im
Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Hintergrund, auf dem sie sich abspielen.
Dieser gesellschaftliche Hintergrund ist es, der vor allem in den freien Gesprächen,
die ja für Fontane so besonders charakteristisch sind, dargestellt wird. Es wird nicht
ein Bericht gegeben, denn es handelt sich ja dabei nicht um Geschehen, sondern um
Atmosphäre. Es werden keine politischen Ereignisse berichtet, sondern es wird
über Politik geredet, es wird Stimmung gegeben. (Ein interessantes Gegenbeispiel
dafür ist der historische Roman Vor dem Sturm, in dem die berichtenden
Partien noch einen viel größeren Raum einnehmen.) Es wird die geistige Haltung
einer Gesellschaft gezeichnet, die im Besitz einer überlieferten Kultur ihre Lebens-
formen noch aufrecht hält, aber doch schon fühlt, daß der Boden unter ihren Füßen
wankt, die einer sinkenden Ordnung zuliebe, um der Haltung willen, mit schmerz-
lichem Lächeln auf stärkeres und echteres Leben verzichtet. Diese Stimmung findet
einen deutlichen Ausdruck in dem skeptisch-ironischen Ton, der für die Gespräche
in Fontanes Romanen charakteristisch ist, der geradezu ihr Wesen ausmacht. Wie
bezeichnend dafür die Stelle in Irrungen Wirrungen, wo Botho Lene von den Ge-
 
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