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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Stockhammer, Moritz: Ästhetik und Rechtswissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0260
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246

MORITZ STOCKHAMMER.

Neben der Wertung spielten Gott, der absolute Geist usw. in der
Ästhetik keine geringere Rolle als in der Rechtstheorie. Danach offen-
barte sich Gott im Schönen, manifestierte sich im Rechte usw. Doch
wurde die metaphysische Ästhetik „von oben" durch die empirische
Ästhetik „von unten" abgelöst, welche — insbesonders in der Kunst-
geschichte — zu einem ästhetischen Nihilismus zu entarten drohte. Und
wie die heutige Rechtswissenschaft zwar nicht mehr herumspekuliert75),
aber — vorwiegend in der soziologischen Rechtslehre — den Klippen
des juristischen Nihilismus noch nicht entronnen ist, und darum am
besten den Mittelweg einschlägt, so proklamierte schon H e r b a r t für
die Ästhetik: „Wir haben ... eine richtige Mitte zu suchen zwischen
mystischer Anschauung (Metaphysik) und Empirismus"76).

Nicht nur in der systematischen, auch in der historischen Rechts-
und Kunstwissenschaft tauchen die gleichen Fragestellungen auf. Es
heißt z. B.: „So wenig kann Kunstgeschichte lehren, was Kunst ist,
daß wir umgekehrt auf einen irgendwie gewonnenen Begriff von Kunst
rekurrieren müssen, um rechtmäßig das Objekt einer speziellen Kunst-
geschichte fixieren zu können. Kunstgeschichte ist Geschichte der
Kunst ..., muß sie da nicht eigentlich schon wissen, was das ist, ein
Kunstwerk? Wie kann sie sonst garantieren, daß sie nicht ihren Gegen-
stand verfehlt, daß sie, statt die Geschichte der Kunst zu schreiben, die
Entwicklung z. B. der Maltechnik, der Materialkunde, der Künstler-
organisationen schildert?"77) Mutatis mutandis: „Wo aber liegt die
Bürgschaft dafür, daß die vorgeblichen Rechtsinstituitionen von über-
raschender Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit in der Tat hier und dort,
heute und vor so und so vielen Jahrhunderten den rechtlichen Charakter
besitzen? Solange sie (die Rechtshistoriker) nicht ein und dasselbe Kri-
terium für die rechtliche Natur ihrer Funde, d. h. der gleiche Rechts-
begriff unausgesetzt begleitet, solange werden sie auch nicht einander
in die Hände arbeiten können." „Nach welchem Kriterium möge er (der
Rechtshistoriker A. H. Post) nun wohl aus dem massenhaften ethno-
graphischen Material das für seine rechts vergleichenden Schriften
tauglich spezifisch Juristische ausgeschieden haben?"78) —

Zwischen Ästhetik und Rechtstheorie konnten durch unsere gegen-
seitigen Bespiegelung verwandte Züge entdeckt werden. Schon bei K a n t
will die Ästhetik — diese „nachgeborene Schwester" (L o t z e) — mün-

70) So erstrebt Kelsen die „Abkehr von einer nebulosen Staatsmetaphysik"
(Staatslehre S. V).

70) Über den analogen juristischen Mittelweg siehe meinen Aufsatz „Begriff
und Bedeutung der Rechtsposivität", Zeitschr. f. öffentliches Recht, 1929. Bd. VIII.
Heft 4. S. 571—592.

77) Aloys F i s c h e r , a. a. O. S. 104.

7S) Karl Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, 1892. S. 76f.
 
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