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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0330
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BESPRECHUNGEN.

auf beiden Seiten. Die Kenntnis reicht nämlich nicht bis zum gegenwärtigen Schrift-
tum; man merkt, daß das Buch vor einigen zwanzig Jahren geschrieben und nur hie
und da ergänzt wurde. So kommt es, daß längst vergessene Schriftsteller (wie etwa
Felix Poppenberg) häufig angeführt und andere, die uns jetzt etwas bedeuten, nir-
gends geprüft werden. Zweitens: Engels Sprachgefühl arbeitet nicht immer mit der
nötigen Feinheit und Zuverlässigkeit. In der Einleitung z. B. steht der folgende
Satz, der mir kein Musterbeispiel zu sein scheint: „Daß ein fertiger Schriftsteller,
wohl gar ein für den Augenblick berühmter, sich durch mein Buch und dessen ab-
schreckende Beispiele, etwa die von ihm selbst beigesteuerten, oder durch irgendein
Buch belehren lassen werde, Deutsch zu schreiben, wenn er ein Menschenleben hin-
durch gefremdwörtelt oder in Zungen geredet hat; nicht mehr geziert zu Schnörkeln,
gelehrttuerisch anzudeutein, unentwirrbar zu schachteln, Tiefsinn durch absichtliches
Dunkel vorzugaukeln, — nein, diesen Wahn hege ich nicht". (VII f.) Gleich darauf
findet sich Engels Bekenntnis, es könne auch ihm eine „bedenkliche Stilblüte ent-
schlüpfen", und er merkt nicht, daß er dies durch die gebrauchte Wendung bestätigt:
denn wie unanschaulich muß sein Denken sein, wenn er von einer bedenklichen Blüte
und von dem Entschlüpfen einer Blüte redet. Auf der nächsten Seite wettert er gegen
den „Gesichter schneidenden Veitstanz". Solche Beispiele ließen sich häufen. Man
sieht: wir sind allzumal Sünder.

Wenn ich selber nach den Erfordernissen eines guten Stils gefragt würde, dann
müßte ich antworten: zunächst lerne man richtig und deutlich schreiben. Höhere
Stufen, nur wenigen zugänglich, führen zu einer Ausdrucksweise, die an Tönungen
reich, in Wortwahl und Rhythmus sicher abgewogen, von einer Persönlichkeit eigen-
artig gestaltet sein kann. Ungefähr so meint es auch Engel. Seine wichtigsten Aus-
führungen behandeln die Fremdwörterei, den Satz, den Aufbau, den Ton und die
Schönheit. Der letzte Teil des Buches ist den Stilgattungen gewidmet. Auffallend
dürftig ist der hierin enthaltene Abschnitt über den Rednerstil ausgefallen, und zwar
deshalb, weil Engel immer nur an die ihm einst so genau bekannt gewordenen Red-
ner des Reichstags denkt. Daß Kanzel- und Katheder-Rede andere Stilgesetze haben,
wird nicht erörtert, ebensowenig wird der neueren Vermittlungsweisen, des Rund-
funks und der Schallplatte, gedacht. Schließlich wäre noch zu bemerken, daß auch
in dem letzten Abschnitt eine planmäßige Aufteilung und eine begriffliche Durch-
dringung des Stoffes fehlt. Rein wissenschaftlich angesehen hat Engels Werk über-
haupt keinen hohen Rang, aber als Ratgeber kann es jedem Schreibenden, insbeson-
dere uns Ästhetikern, gute Dienste leisten.

Schneiders „Stilkunde" hingegen ist eine theoretische Untersuchung über die
Ausdruckswerte im literarischen Schrifttum, wobei unter Ausdruckswert zu ver-
stehen ist „die ästhetische Wirkung einer sprachlichen Erscheinung auf den Leser".
Die Beispiele sind meist Prosadichtungen der letzten vier Jahrhunderte entnommen
und ausführlicher wiedergegeben als bei Engel, der immer nur einzelne Sätze oder
Satzstücke anzieht; ihre Wahl hängt natürlich ganz von den persönlichen Neigun-
gen und Kenntnissen des Verfassers ab und soll nicht beanstandet werden — immer-
hin hätten, scheint mir, die „Neutöner" unserer Tage und solche höchst eigenartig
Schreibenden wie Viktor v. Kohlenegg und Jakob Schaffner berücksichtigt werden
können. Als Haupteinteilungsgründe treten auf: die Beziehungen der Worte zum
Gegenstand der Aussage, die Beziehungen der Worte zueinander, die Beziehungen
der Worte zur gesamten Sprache, die Beziehungen der Worte zum Verfasser. Wie
steht es mit dem Verhältnis der Worte zum Gegenstand der „Aussage"? Ein Schrift-
steller kann die „wirkliche Gegebenheit" „beibehalten" oder „umformen". Das ist,
unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten, einigermaßen schief. Aber hierauf
 
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