Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

DOI Artikel:
König, René: Künstlerästhetik als geisteswissenschaftliches Problem
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0016
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2

R. KÖNIG.

Künstler erfährt einmal wenigstens in seinem Leben, wie seine Werke
sich seiner Einflußnahme entziehen. Sie entgleiten ihm, wie erwachsene
Kinder ihren Eltern entgleiten. Diese entfremdende Distanzierung wird
jedoch zur unerläßlichen Bedingung erkenntnismäßiger Besinnung. Erst
nachdem der Künstler wie durch eine Glaswand von seinen Werken ge-
trennt wurde, und ihn nicht mehr die Wärme des eigenen Herzens aus
ihnen anspricht, kann er sich ihnen erkennend zuwenden. Die Hinein-
bezogenheit seiner Person in den Schaffensprozeß, seine Interessiertheit
an der Existenz des Geschaffenen verdunkelten die reine Sicht. Nachdem
jetzt aber die Kluft des unpersönlichen und in gewissem Sinne unmensch-
lichen (denn immer sucht der Mensch sein eigenes Dasein hinein-
zubeziehen in das Sein der Gegenstände, nur ein göttliches Bewußtsein
ist völlig uninteressiert) Gegenüber aufgerissen ist, wird Erkenntnis über-
haupt erst möglich. Das Kunstwerk wird zur Welt, die abgetrennt vom
Schöpfer und neben ihm ihr eigenes Dasein führt. In der — sicher
schmerzhaften1) — vollen Erfassung dieses Gedankens von der gegen-
ständlichen Wendung des Werkes zur eigengesetzlichen Welt, mag das
Phänomen der Reife beruhen und jenes höheren Ernstes, für den alles
Dasein zum Objekt wird, das in interesseloser Konzentration erfaßt wird.
Dies das Charakteristikum des weltoffenen Geistes, das heißt des Lebens
im Stande erkenntnismäßiger Bewußtheit.

Das so erlangte Wissen um den Gegenstandscharakter des Kunst-
werkes und damit um seinen eigenständigen, in sich beschlossenen Sinn-
zusammenhang und seine, von allem Bios-menschlichen gelöste, imma-
nente Folgerichtigkeit, hebt den Künstler heraus aus jener ästhetizisti-
schen Weltlosigkeit und verantwortungslosen Spielerei, in der er sich be-
findet, solange der Schaffensdrang „blind" (d. h. nicht erhellt von jenem
Geiste, der Gegenstände hat) in ihm waltet2). Seine emotionale Erregt-

1) Mögen hier einige Zeilen aus einem Gedicht von Anton Wildgans
Platz finden, die den geschilderten Sachverhalt besonders zugespitzt und schön
zum Ausdruck bringen:

Und von allen meinen lieben Plänen
Blieb mir nichts, als dieses herbe Sehnen,
Eins zu sein mit meinen dunklen Taten.
Aber immer haben die ihr Leben
Abgetrennt von mir und neben
Mir geführt wie kühle Saaten,
Die die Hände, jene mühevollen,
Die sie säten, nicht erkennen wollen.

2) Damit soll gewiß nicht eine Wertung im Sinne des alten Rationalismus ge-
fällt werden, nach dem die exakte Verstandese kenntnis zum Maß der Erkenntnis
wird, vor dem alle anderen „Gemütskräfte" des Menschen (Sinnlichkeit, Gefühl, Wille
usf.) zu Quellen niederer, verworrener Erkenntnis werden. Blind sind jene im
Scharfen tätigen Kräfte nur, solange wir sie mit dem Gegenstände habenden Geist
vergleichen. In sich selbst betrachtet erfassen natürlich auch sie je eine Region
des Seins (im weitesten Sinne); nur sind ihnen diese Seinsregionen nicht als
 
Annotationen