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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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Kuhn, Helmut: Das Problem der Interpretation von Kunstwerken : Bemerkungen zu Fritz Saxls Buch über Mithras
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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0067
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BEMERKUNGEN.

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reichende Bedeutung zukommt. Auf den, wie mir scheint, sehr beträchtlichen
religionsgeschichtlichen Wert dieser Arbeit, die zum ersten Mal seit dem Er-
scheinen des grundlegenden Werkes von Cumont (Textes et Monuments h'gures
relatifs aux Mysteres de Mithra 1896; vgl. auch den vom gleichen Verf. stammen-
den Artikel „Mithras" in Roschers Mythologischem Lexikon) eine Gesamtanschau-
ung des Mithriazismus vermittelt, kann nur beiläufig hingewiesen werden.

Allgemein läßt sich sagen, daß jede Weise der Kunstdeutung durch den Hori-
zont charakterisiert wird, innerhalb dessen sie sich vollzieht und auf den sie
horizontbildend zurückwirkt. So interpretiert, um dies an einem Beispiel zu er-
läutern, die von Winckelmann eingeleitete und etwa bis Schasler reichende Kunst-
deutung im Horizont einer universalhistorischen Anschauung. Diese höchst dif-
ferenzierte Voraussetzungsganzheit führt ihrerseits wieder zurück auf die fundie-
rende Elementarschicht eines ästhetisch-anthropologischen Apriori. In der ästheti-
schen Erfassung des Kunstwerks wird unmittelbar der Ausdruck einer seelisch-sitt-
lichen Haltung wahrgenommen, und dieses unmittelbare ästhetische Ausdrucksver-
stehen, das das Kunstwerk exemplarisch als Verwirklichung einer eigenen inneren
Möglichkeit begreift, bildet die Grundlage noch der differenziertesten Einordnung in
den „Geist einer Zeit". Hinzu kommt die aus dem exemplarischen Kunsterlebnis
stammende Voraussetzung, daß eine bestimmte, als Existenzideal erfaßte innere
Haltung mit der Vollendung des künstlerischen Ausdrucks zur Schönheit zusam-
mengehört. Im Anschluß an die griechische Kunsttheorie und Anthropologie bezeich-
nete man diese Zusammengehörigkeit durch den Begriff der „Harmonie". Beide Vor-
aussetzungsschichten hängen hier in der Weise zusammen, daß sich die universal-
historische Anschauung ständig aus der elementaren Schicht eines unmittel-
baren, am Schema einer idealen Anthropologie orientierten Ausdrucksverstehens er-
neuerte. Die Gefahr dieser Deutungsweise liegt in der Verselbständigung des mehr
oder weniger konstruktiv gedachten historischen Horizontes gegenüber der bilden-
den ästhetisch-anthropologischen Mitte. Kunstdeutung konnte zur bloßen Anwen-
dung historisch-philosophischer Kategorien werden. Diese Gefahr zeigt sich sehr
deutlich bei Hegel. Und es ist durchaus sinnvoll, daß der Hegeischen „konstruk-
tiven" Ästhetik das gesonderte Studium der elementaren Schicht von Ausdruck und
Ausdrucksgestaltung durch Schleiermacher gegenübertritt1).

Unser Zeitalter sieht sich des Deutungshorizontes, der zugleich Horizont des
Lebensverständnisses, „Weltanschauung" war, beraubt. Mit seinen Voraussetzun-
gen wird das Kunstverstehen in neuer Weise problematisch. Fr. Th. Vischer, der
für ein Halbjahrhundert die Entwicklung der deutschen Ästhetik in seiner Person
darstellt, erkennt: „die Ästhetik ist noch in den Anfängen" und er gibt der For-
schung die Losung: „von der Erscheinung zum Ausdruck!" (Kritische Gänge, her-
ausg. von R. Vischer, 4 Bd. 2. A. 1922 S. 419.) Diese Losung besagt, daß von dem
Unverlierbaren, der lebendig anschauenden Erfassung der Kunst her, das Ver-
lorene, die Voraussetzungsganzheit (der Deutungshorizont) wiederzugewinnen, die
ödog y.äza durch die ö<5og ävco zu ersetzen ist. Sie wurde in Deutschland zunächst
in der Weise befolgt, daß man bei der Erscheinung stehen zu bleiben und z. B. ein
bildnerisches Kunstwerk aus dem Horizont reiner Bildlichkeit (einer „ästhetischen
Optik") zu begreifen versuchte. Die Forschungen von Riegl und Wölfflin, denen
erst Conrad Fiedler, dann der südwestdeutsche Neukantianismus theoretische Hilfs-

J) Gerade die Warburgschen Forschungen sind geeignet, auf die Bedeutung \
von Schleiermachers Ästhetik aufme.ksam zu machen, die jetzt durch die Aus- \
gäbe und die analytische Darstellung von R. Odebrecht (Schleiermachers System
der Ästhetik, Berlin 1932) in ein neues Licht gerückt wird.
 
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