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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0086
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72

BESPRECHUNGEN.

Ein wie deutliches Wissen um die Autonomie und autochthone Schöpferkraft
der Musik S. im Grunde besitzt, geht hervor aus der Anerkennung, die S. der-
artigen Einsichten — u. a. bei Zelter — entgegenbringt. Mit solchen Anerkennun-
gen und Bekenntnissen ist S. auf dem richtigen Wege.

Wagners Musikästhetik glaubt S. als reine Inhaltsästhetik ansprechen zu
dürfen. Dies ist völlig falsch, denn es gilt höchstens, wenn auch keineswegs
ausschließlich, für die Ästhetik von „Kunstwerk der Zukunft" und „Oper und
Drama". (Auch in diesen Werken hat seine Ästhetik eine Seite, die der Inhalts-
ästhetik diametral entgegengesetzt ist!) Für die Werke der ersten Periode aber
(„Über die Ouvertüre", „Ein glücklicher Abend"), sowie die der dritten Periode
(„Beethoven") gilt es keineswegs. Dies scheint auch S. zu bemerken, da er schließ-
lich (S. 368) die Behauptung, Wagners gesamte Ästhetik sei Inhaltsästhetik,
abschwächt zu der These, daß Wagner das „inhaltliche Moment in seiner Inter-
pretation des Nachahmungsprinzips nicht ganz beseitigt" habe. In dem Wagner
der ersten Periode sieht S. einen Schüler Hegels; wenn sich aber bei Wagner
ähnliche Gedanken wie bei Hegel finden, so kann man ihn nicht als „Schüler"
Hegels bezeichnen, da er von dessen Vorlesungen über Ästhetik keine Ahnung
hatte. Den Wagner der dritten Periode betrachtet S. als „Schüler" Schopen-
hauers! Dies ist auch nur insofern zutreffend, als Wagner Schopenhauers Haupt-
werk freilich kannte und von ihm bewußt stärkste Eindrücke empfangen hatte,
es darf aber auch hier nicht übersehen werden, daß Wagner von Schopenhauer
nur die spekulativen Gedanken über den „Willen" übernommen hat. Daß er in
musikästhetischer Hinsicht es nicht nötig hatte, von Schopenhauer Belehrungen
und Anregungen zu empfangen, und daß er „musikalisch" genug war, Schopen-
hauers Ideen über die „Selbstgenügsamkeit der Musik" selbst zu entwickeln, ist
zweifellos, wie er ja derlei Ideen um 1840, 14 Jahre vor der Kenntnis des Schopen-
hauerschen Buches, ausgesprochen hatte. Vor allen Dingen darf aber nicht über-
sehen werden, daß Wagner in seiner sogenannten Schopenhauer-Periode die von
Schopenhauer zwar in abstracto anerkannte, im einzelnen aber doch wieder ab-
geschwächte Idee der Selbstgenügsamkeit der Musik außerordentlich viel deut-
licher empfunden und dargestellt hat als Schopenhauer — kein Wunder, war er
doch ein großer Komponist, während Schopenhauer nur schlecht Flöte spielte —,
so daß S.'s Behauptung selbst in der abgeschwächten Form („daß das Inhalt-
liche nicht ganz beseitigt sei") vielleicht für Schopenhauer zutrifft, nicht aber für
den „Schopenhauerianer" Richard Wagner. Zahlreiche Thesen des späteren Wagner,
die hier nicht wiedergegeben werden können, lassen uns behaupten, daß selbst die
abgeschwächte These von S. Wagners eigentlicher Musikanschauung noch nicht
gerecht wird. Der Ästhetiker Wagner, der dritten wie der ersten Periode, hat die
Musik, im völligen Gegensatz zu jeder Nachahmungs- oder Inhaltsästhetik, als
geradezu autonome Kunst anerkannt.

Und nun zu den Verdiensten des von außerordentlichem Fleiß, großer Belesen-
heit und Literaturkenntnis zeugenden Buches, das eine ausführliche Besprechung
verdient. Ausgezeichnet ist S.'s Gedanke, daß der Nachahmungs- oder Inhalts-
ästhetik nicht nur eine sogenannte Formästhetik gegenüberzustellen ist (Nägeli),
sondern noch eine andere Richtung, als deren Vertreter dem Verfasser mit Recht
Hanslick gilt (S. 369). Ich empfahl in meiner „Musikästhetik in ihren Haupt-
richtungen", diese Ästhetik des Spezifisch-Musikalischen, im Gegensatz zu Nägelis
„Formästhetik", als „Autonomieästhetik" zu bezeichnen. Die Autonomieästhetik
Hanslicks befindet sich nämlich in einem noch viel größeren Gegensatz zur In-
haltsästhetik als die Position, die Nägeli einnimmt: Nägelis Formästhetik ist das
 
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