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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0089
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BESPRECHUNGEN.

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tinuum ist sie eben nicht streng erfaßbar. So sonderbar es ist: ein Aufbau und
eine Begründung aus den „Elementen" ist hier unmöglich. Gemäß dieser Erkennt-
nis finde ich das Schwergewicht der vorliegenden Arbeit in den großzügigen
Rückblicken, die aber ruhig an erster Stelle stehen dürften. Denn es wäre ein
Irrtum, zu glauben, diese Rückblicke seien als Schlußergebnisse durch die voran-
gehenden Einzeluntersuchungen erst ermöglicht, fundiert. Nein: sondern hier wird
der nötige Abstand eingehalten, der die Kompositionsformen als ganze heraus-
treten läßt, ohne daß Einzelheiten stören. Man wird dem Verfasser beistimmen
dürfen, wenn er in großen Zügen überall triadischen Rhythmus wiederfindet und
diese Tatsache im Anschluß an Harry Slochowers Defimelbuch weltanschaulich
ausdeutet.

Was dagegen, über die Kompositionsgruppen im großen hinaus, die Einzel-
bindungen von Gedicht zu Gedicht betrifft, so fallen sie an sich für den Gesamt-
aufbau nicht entscheidend in Betracht: Es wäre durchaus denkbar, daß man solche
sozusagen privaten Beziehungen in ununterbrochener Kette nachzuweisen ver-
möchte und im ganzen doch nur einen unglaublichen Zickzackweg ohne Plan und
Richtung zurücklegte. Ich jedenfalls bin bei diesen Dingen sehr oft im Zweifel,
ob ich sie billigen oder ablehnen soll. Es gibt eben zwischen einer Reihe von Ge-
dichten eine solche Fülle von Interpolationsmöglichkeiten, von Beziehungsfiguren
(Ähnlichkeit nach Inhalt oder Form, Steigerung, Gegensatz, Vor- und Nachklang),
daß sich ins Zufälligste noch ein Zusammenhang hineinsehen läßt (wie in die
Maße der Cheopspyramide oder in die Horoskope bekannter Männer auch). Dem
kritischen Leser aber drängt sich als entscheidend die Frage auf: Hat der Dich-
ter all das auch wirklich beabsichtigt? Merkwürdig: bei der Betrachtung eines
organischen Kunstwerkes ist diese Frage völlig unangebracht; wir begnügen uns
damit, Gesetzmäßigkeiten festzustellen, und kümmern uns nicht darum, ob sie
bewußt gewollt sind oder nicht; genug, sie sind da. Hier aber, bei der Bindung
von Gedicht zu Gedicht, handelt es sich um so „nachträgliche" Zusammenhänge,
daß wir das Bedürfnis nach historischer Begründung empfinden: Der Nachweis
einer Absicht des Dichters, werde er nun aus einem unmittelbaren Bekenntnis
oder aus der Entstehung erbracht, wird ausschlaggebend. Wenn wir etwa hören
(S. 97), daß Dehmel zweimal zwei Verse über einen Strauß Vergißmeinnicht in
ein Gedicht eingefügt hat, das einem andern mit dem Titel Vergißmeinnicht vor-
geordnet wurde, so wirkt dieser geschichtliche Befund allerdings überzeugend.
Die Möglichkeiten solcher „historischen Philologie" hätte der Verfasser zuweilen
methodisch betonter ausnutzen dürfen. Doch ist zuzugeben, daß ein ausführliches
Nachweisverfahren all dieser Änderungen, Umstellungen, Einschübe rein darstel-
lerisch die größten Schwierigkeiten bereiten muß: Wie soll man dem Leser sämt-
liche Ausgaben von Dehmels Gedichten vor Augen führen? Vielleicht wäre es
da am vorteilhaftesten gewesen, einige der kennzeichnendsten Beispiele zusammen-
zurücken und daran Dehmels oft recht rationale Methode zu komponieren ein-
gehend klarzulegen, im übrigen aber auf lückenlose Darbietung der Beziehungen
von Gedicht zu Gedicht zu verzichten, die doch nur ermüdet und für die Gesamt-
komposition nicht gar so viel besagt. Abzulehnen auf jeden Fall sind all jene
künstlichen Blumengewinde, die sich von Lied zu Liede schlingen. So wird etwa
S. 249 auf die „Predigt ans Heer mit der historischen Vertiefung der deutschen
Soldaten in die alten Germanen" die „Handlung" folgendermaßen weitergeführt:
„Als der unumgängliche Schritt, dieser Ahnen wert zu sein, wird die Pflicht im
Lied der Pflicht dargestellt". Das ist der übliche üble „verbindende Text", ohne
wissenschaftlichen, ja überhaupt ohne jeden Wert.
 
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