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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0217
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BESPRECHUNGEN.

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des 17. Jahrhunderts behauptet. Den Cambridgern sind die Verschiedenheiten der
Lehrmeinungen geradezu die Bedingung, daß der reine Wesenskern der Religion
bloßgelegt werden kann. Allerdings ist dieser Denktypus isoliert in seiner Zeit;
und das 3. Kapitel, das die Stellung der Schule von Cambridge in der englischen
Geistesgeschichte untersucht, erweist diese Isolierung, indem die Gegensätze Puri-
tanismus und Empirismus als von denselben Energien getragen dargetan werden.
Aktiven Glauben will der eine, aktive Philosophie der andere, und beide sind blo-
ßer Kontemplation und Spekulation feindlich. Die Cambridger aber führten ein
Leben der Betrachtung. Ihren Gegensatz zum Empirismus rechtfertigen sie, sei
es bei der Natur- oder Gesellschaftsphilosophie. Statt analytischer Methode for-
dern sie Synthese, statt die Natur mechanisch zu sehen, wollen sie sie plastisch
sehen; statt den Staat zu sezieren, wollen sie auch das soziale Sein als ein organi-
sches aufgefaßt wissen, bei dem der Sinn der Teile nur vom Ganzen her bestimmt
werden kann. Und ihren Gegensatz zum Puritanismus rechtfertigen sie in der
fast religiösen Verehrung, die sie der antiken Spekulation entgegen bringen. Ihre
Idee der Religion macht an der Grenze des Christentums nicht halt. Sie weigern
sich, die sittliche Vernunft unter ein äußeres Gesetz zu beugen: „es gibt etwas in
Gott" — sagt Whichcote — „das höher steht als seine Macht und seine un-
umschränkte Gewalt, nämlich seine Rechtlichkeit, sein guter Wille, seine Weisheit,
seine Gerechtigkeit." Damit aber rühren sie an das Freiheitsproblem wie einst
Pelagius gegen Augustin und dann Erasmus gegen Luther, und gehen unabhängig
aber in derselben Richtung wie Leibniz auf dem Weg, der von Luther zu Kant
führt. Von dieser Erkenntnis aus unternimmt nun das 4. Kapitel die Bedeutung
der Cambridger Schule für die allgemeine Religionsgeschichte zu zeigen in weit-
ausholendem Überblick, der bei Augustin ansetzend die Auseinandersetzung seiner
Jahrhunderte bestimmend bleibenden Grundlehren mit dem Piatonismus entwickelt.
Nochmals wird Ficino herangezogen, dem sich — nach Plotin — der Eros als das
„Band der Welt" erweist, und Erasmus, der Origines gegen Augustin ausspielt.
Dann wird der Piatonismus durch die englischen Renaissancedichter verfolgt bis
zu seinem Verfall, und das Bemühen der Cambridge-Platoniker wird gedeutet als
das Streben „das Rad der Zeit gewissermaßen aufzuhalten, den humanistischen
Geist wieder gegen den puritanischen zur Geltung zu bringen". Trotz erfolgter
autoritativer Entscheidung bestehen sie „auf der Wiederaufnahme des großen Pro-
zesses, der um das Problem von Freiheit und Notwendigkeit durch die Jahr-
hunderte hindurch geführt worden war". — Das 5. Kapitel bespricht die Natur-
philosophie der Cambridger. Sie hat an sich nur historische Bedeutung, denn ohne
strenge Methodik des Experiments und ohne Beherrschung der mathematischen
Analysis geraten sie hier von der Vernunft in die Mystik. Die Art aber, wie Verf.
von dieser Reaktion aus Ausschau hält zu Leibniz, zu Descartes, zu Newton, er-
öffnet auch hier neue Blicke. Solche Ausschau steigert und weitet sich noch im
abschließenden 6. Kapitel, das in Shaftesbury Ausgang und Fortwirkung der Cam-
bridger Schule dartut. Shaftesbury war, was die Cambridger nicht waren, ein
Meister der Form und er hat wesentlich das Verdienst, daß ihre Schule als philo-
sophische Macht in die folgenden Jahrhunderte hineinragt — allerdings durch ein
Moment, das er hinzufügt: die Ästhetik. Diese Ästhetik aber ist nicht aus der
Grundrichtung des englischen Empirismus, sondern aus der des englischen Pla-
tonismus herausgewachsen. Das Denken Shaftesburys wird dann eine lebendige
Macht, die in der Philosophie und Ästhetik des deutschen Idealismus ihre Wie-
dergeburt erlebt.

Dieser Aufriß der Studie Cassirers gibt keine Anschauung von der Viel-
seitigkeit, die bei des Verf. Art, immer wieder und nach allen Richtungen hin den
 
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