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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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Frydmann, Richard: Das Erlebnis der Näherung: ein Versuch über das ostasiatische Sehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0320
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306

RICHARD FRYDMANN.

wurde, ist Gemeinplatz und brauchte hier gar nicht erwähnt zu wer-
den, wenn nicht gerade dieser Umstand in der allgemeinen Meinung
das Mißverständnis genährt hätte, als sei die ostasiatische Kunst ihrem
Erlebnisgehalte nach „flächig" gemeint, und als wäre die Kunst-
forschung ihrer Pflicht gegenüber der „Unperspektivität" nachgekom-
men, wenn sie diese mit Unfähigkeit erklärt und ihr den mildernden
Umstand der dekorativen Flächengestaltung zubilligt.

Aber gerade in diesen nach den (dem Asiaten übrigens bekannten)
Regeln mathematischer Perspektive fehlerhaften Konstruktionen, den
Darstellungen ohne Fluchtpunkt, liegt ein Schlüssel zur Lösung der
uns heute noch fast unlösbaren Frage nach dem Wege zur richtigen
Einfühlung in diese Kunst, die ohne diesen Schlüssel uns doch
immer nur ein historisch und theoretisch interessantes Studienobjekt,
niemals aber das ersehnte künstlerische Wort von Mensch zum Men-
schen sein könnte.

Ich möchte aber für unsere Erwägungen nicht von der japanischen,
sondern von der dieser gegenüber das Original und ältere Vorbild dar-
stellenden chinesischen Kunst ausgehen und als deren Paradigma
die chinesische Tuschmalerei ins Auge fassen; dies deshalb, weil diese
für die chinesische Kunst auch nach Ansicht der asiatischen Kenner
repräsentativste Bedeutung hat, und weil gerade in diesem Kunstzweige
die Großmeister der ostasiatischen Kunst ihr Höchstes und Tiefstes ge-
schaffen haben1). Die auf Grund der Schwarz-Weiß-Wirkung nahe-
liegende Analogie mit der europäischen Handzeichnung oder Graphik
liegt daher nicht vor, vielmehr entspricht an Größe und innerer Be-
deutung des Darstellungsgebietes (die Landschaften sind Sakral-Land-
schaften!) die asiatische Tuschmalerei durchaus dem europäischen Öl-
gemälde. Wenn wir daher als die Charakteristika der chinesischen
Malerei zunächst vom Sujetpunkte diejenige dem Europäer fast unfaß-
bare tiefe Naturverbundenheit und Naturliebe2) feststellen, die nur dort
möglich war, wo nicht die Religion die Seelen in ein Jenseits verwiesen
und dadurch der lebenden Natur abwendig gemacht hatte, wenn wir
ferner vom technischen Standpunkte aus die geradezu unglaubliche
Feinheit des kalligraphisch geschulten und in allen Nuancen zugleich

1) Vgl. insbes. Otto Fischer, „Die Kunst Indiens, Chinas und Japans"
(Berlin 1928) und Ernst Grosse, „Die ostasiatische Tuschmalerei", Berlin 1922.
Beide Werke mit reichem Illustrationsmateriale.

-) „Das geheimnisvolle Leben von Pflanze und Tier ... haben wir auch heute
noch nicht entdeckt, ... nur die Chinesen haben von dem wirklichen Wesen, nicht
nur von der äußeren Form des „unbeseelten" Lebens ein künstlerisches Abbild
gegeben." Otto Kümmel, „Die Kunst Chinas, Japans und Koreas", Potsdam
1929, S. 44.
 
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