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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0361
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BESPRECHUNGEN.

347

Interpretation u. a. m. Seine „Gegenstandsbestimmung und Methodenlehre der
Analyse von Dichtungen" sucht vor allem einmal den Ansatzpunkt solcher An-
schauungsart zu gewinnen. Die größte Gefahr wohl für dessen reinliche Heraus-
arbeitung liegt darin, daß jede Dichtung zahlreiche zeitbedingte Elemente, die also
nicht bewußte Kunstmittel des Dichters sind, enthält, daß somit eine unvorsichtige
Betrachtungsweise auch diese als gewollte Ausdrucksmittel ansprechen, ihr Ver-
hältnis zu den wahren Kunstmitteln des Dichters also völlig verkennen kann.
Diesem Gedanken werden wir auch in dem Aufsatz Josef Nadlers begegnen3).
Zu solchen zeitbedingten Elementen gehört auch das persönliche Erlebnis, das den
Dichter anregte. Dieses wie jene alle muß die sorgsame Analyse in die Außen-
bezirke der Dichtung wie der Betrachtung verweisen, deren Kenntnis zwar nicht
unwichtig, zum eigentlichen Verständnis der Dichtung aber unwesentlich ist. Nach
solcher Herausschälung sieht P. in der „lebendigen Einheit von dichterischer An-
schauung und Ausdruck" den wahren Ausgangspunkt jeder Analyse. Ihre Aufgabe
und ihren Sinn aber bestimmt er folgendermaßen. „Die Analyse erzeugt . . . auf
rationalem Gebiete, unter Einbeziehung irrationaler Randstreifen, eine Art Nach-
bildung des dichterischen Kunstwerkes nach seinem inneren Gefüge und nach dem
Aufbau seiner äußeren Gestaltung und läßt die lebendigen Beziehungen zwischen
Gehalt und Form deutlich werden." Auch bei der weiteren Beleuchtung des
analytischen Vorgehens gewinnt P. seine Ergebnisse zumeist durch Hervorhebung
der Gefahren, die dessen reinlicher Durchführung auf Schritt und Tritt drohen.
So muß die Inhaltbetrachtung die stoffliche Neugier bekämpfen, die Gehaltbetrach-
tung der außerästhetischen Tendenz steuern. Das inhaltliche Sein des Dichtwerks
ist nur zu erfassen durch Loslösung des Inhalts von außerästhetischen Beurtei-
lungen, die Gehaltfrage aber hat zu prüfen, wie tief die Dichtung greift, wo ihr
aufbauendes Hauptmotiv verwurzelt ist. Der Gestalt- und Formanalyse, den
äußeren Formen der Dichtung widmet P. gleichfalls peinlich sorgfältige Betrach-
tungen, die alle darauf zielen, die Dichtung als Kunstwerk rein in ihren eigenen
Wesensbedingungen, in ihrem immanenten Wechselverhältnis von Absicht und Er-
füllung sehen zu lehren.

Hatte Petsch die Analyse des Dichtwerks als solchen, losgelöst von seinen
zeitlichen Bindungen aller Art, zum Gegenstand seiner Untersuchung gemacht, so
untersucht Walter Muschg in seinem Aufsatz „Das Dichterporträt in der Lite-
raturgeschichte" gerade die Erfassung der Dichterpersönlichkeit in ihrer Bedeutung
für die Literaturgeschichte. Erschwerend für diesen Fragenkreis sei vor allem
die Tatsache, daß die Dichter selbst, veranlaßt durch die Materialgleichartigkeit
ihres Kunstmittels, der Sprache, mit dem Ausdrucksmittel des Literaturforschers,
weitgehend an der Forschung über ihr Arbeitsgebiet teilnehmen, während die
bildenden Künstler oder die Musiker doch nur ganz selten sich beteiligen an der
„abstrahierenden Betrachtung ihrer Arbeitsweise und Wirkung". Haben nun auch
Dichter vielfach „entscheidende Impulse in ihren [der Literaturwissenschaft] Fort-
gang" gegeben und zuweilen eine großartige Personalunion, ja eine vollkommene
Einheit beider Berufe dargestellt, so daß gelegentlich wohl die Forderung der
Suprematie des Dichters auch in der Literaturwissenschaft erhoben werden konnte,
so ist der Nachteil dieser Tatsache doch überwiegend; denn dem Dichter als
solchem fehlt die sachliche Objektivität, die zu wissenschaftlicher Literaturbetrach-
tung wie zu jeder anderen wissenschaftlichen Betrachtung vor allem verlangt
werden muß. Man braucht ja nur etwa an Goethes bekannte literarische Fehlurteile
zu denken. Wo der Dichter dem Dichter als schöpferische Existenz schlechthin

3) „Das Problem der Stilgeschichte."
 
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