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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0385
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BESPRECHUNGEN.

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Wand nicht mehr statisch auf." An anderer Stelle: „Ein Übermaß von Dynamik
schafft eine besonders freie und lichte Raumgestalt." Von den Baugliedern um 1200:
in ihnen sei „ein dynamisches Strömen schlackenlose Form geworden". Es wäre er-
wünscht, die Begriffe „Statik" und „Dynamik" klar geschieden zu wissen. — „Durch
Übersteigerung des rationalistischen Raummantels schlägt in der Kathedrale von
Beauvais die Gestaltung bereits ins Übersinnliche um." Auch im Straßburger Lang-
haus beginnt „der klassische Stil durch Entmaterialisierung ins Irrationale umzu-
schlagen". Da müßte m. E. gesagt werden, was denn unter dem Irrationalen ver-
standen wird. Es ist doch gewiß auch den vorhergehenden Werken nicht fremd.
Einen wesentlichen Anteil an der Magie des Raumes hat neben der eigentümlichen
Struktur der Hochschiffwände, dem was H. Jantzen als „diaphane Struktur" defi-
niert hat*), die Zuführung des Lichts durch das Medium dunkelfarbiger Glas-
gemälde. Von ihrer wichtigen Funktion ist bei C. kaum die Rede. —

Manchmal scheint es schwer zu sein, sich über einen konkreten Eindruck zu
einigen. An der berühmten Schauwand der Katharinenkirche zu Oppenheim findet
C, daß „Masse und Fläche der drei Wandstreifen durch irrationale Verschlingun-
gen des Fenstermaßwerks und wucherndes Verspinnen der Schmuckfonnen fast
völlig verschleiert werden". Und er sieht darin einen Niederschlag der mystischen
Geisfesrichtung. Auf mein vermutlich nüchterneres Auge wirkt die Front eher wie
das kunstvoll künstliche Gebilde einer geometrischen Phantasie. Bisweilen mag die
Beleuchtung, in der ein Bau in der Erinnerung steht, die Interpretation beeinflus-
sen oder ■— die Photographie (die Skulpturen von Naumburg sind ein bekanntes
Parallelbeispiel für die Zauberkunst des Photographen). An der romanischen West-
front in Andernach, meint C, entfaltet sich der dekorative Stil zu „exzentrischem
Überschwang". Der Chor der Kreuzkirche in Schwäbisch-Gmünd „glitzere in einer
Fülle von Zierwerk". An der Langhauswand in Amiens spürt C. einen „prickelnden
Reiz verwirrender Linienführung". Das beruht, wie mir scheint, auf einer impres-
sionistischen Sehweise. Vielleicht auch dies, daß C. in seiner Einleitung den Tempel
der klassischen Antike mit der Kathedrale der klassischen Gotik konfrontiert, um
das Gemeinsame hervorzuheben. „Wie der griechische Tempel setzt auch die go-
tische Kathedrale ihren Raummantel aus einem festen Gefüge gegeneinanderwir-
kender Bauformen und statischer Kräfte zusammen." Den Säulengang der Folge
von Strebepfeilern und Strebebögen gleichzusetzen, dem widerspricht doch schlecht-
hin alles, nicht bloß Formensprache, Proportion, Richtung der Kräfte, sondern
auch die funktionelle Bedeutung in jeglicher Hinsicht. Es bleibt als übereinstim-
mend lediglich der visuelle Eindruck eines Wechsels heller und dunkler Glieder:
eine Impression. C. führt freilich den Vergleich weiter: „Innenraum und Raum-
mantel stehen bei der Kathedrale in einem ähnlichen Gegensatz von altertümlicher
Form zu fortgeschrittener wie beim Tempel." Ebenso wie bei der Fortbildung des
Tempels die Cella ein altertümliches Element ist und das Neue in der Durchgliede-
rung des Außenbaus sich vollzieht, so sei für die christliche Basilika in ihrer
Wandlung vom Romanischen zum Gotischen nicht der Raum das entwicklungs-
führende Element sondern die Ummantelung. Ich glaube nicht, daß sich diese Pa-
rallele als gültig bewähren wird. Wenn C. bemerkt, daß im Raum das Entschei-
dende des gotischen Stiles zunächst weit weniger in Erscheinung trete als im
Grundriß und Raummantel, so muß man fragen, woraus denn ein Raumcharakter
resultiert, wenn nicht aus Grundriß und Raummantel. Oder versteht C. hier unter
Raummantel nur den Außenbau? Aber der gotischen Raum idee zuliebe ist doch

*) „Über den got. Kirchenraum" (Freiburger Wiss. Ges. Heft 15. 1928).
 
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