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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0390
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376

SCHRIFTENVERZEICHNIS FÜR 1932.

leugnet solche Nebenerscheinungen: Musik habe ihren Sinn lediglich in sich selbst,
das von ihr geweckte Gefühl sei eigener Art, mehr den Wirkungen anderer Künste
verwandt, als den Erfahrungen des Lebens. Vernon Lee drückt das so aus: für die
einen habe die Musik „a message", für die andern bleibe sie „just music". Der
Grund liegt nicht darin, daß die der ersten Gruppe Zugehörigen etwa eine größere
Gefühlserregbarkeit besitzen; dies geht aus der Umfrage mit Sicherheit hervor.
Vernon Lee kommt zu dem Schluß, der bekanntlich nicht neu ist, daß die einen
ganz dem Werk hingegeben sind, jede Einzelheit des Stückes und der Ausführung
beachten, während die andern nur gelegentlich so objektiv eingestellt sind, meist
jedoch in Gefühlen, Erinnerungen, Bildern genießen. Jenen Zustand nennt die Ver-
fasserin „listening to music", diesen „hearing music". Beim bloßen Musikhören ist
das Problem: wie kommen Gebilde aus gleichzeitigen und nachzeitigen Klängen da-
zu, Gedanken und Gefühle zu wecken, die sonst aus den Bedingungen des mensch-
lichen Lebens entstehen? Im Zusammenhang mit ihren früheren Forschungen ge-
langt die Verfasserin zu dem Ergebnis, daß die musikalische Bewegung in ihrem
Auf und Ab, in ihrem Anziehen und Abstoßen, in ihrem Beschleunigen und Verlang-
samen die Formen menschlicher Tätigkeit wiederholt und durch diese Brücke mit
dem Leben verbunden ist. Man dürfe jedoch von hier aus nicht zu einer morali-
sierenden Auffassung der Musik fortschreiten. Musik steht jenseits von Gut und
Böse. Es macht nicht viel aus, welche Kompositionen mein Nachbar liebt, wohl aber,
wie er handelt. Auch durch das Erlebnis großer Musik wird niemand dazu be-
stimmt, seinen Nachbar freundlicher zu behandeln, als er es vorher getan hat. Den-
noch kann Vernon Lee, wie sie sagt, ihren „kindischen Wunsch" nicht zurück-
drängen, daß die Menschen ihre Gefühle entladen sollten beim Anhören einer Sym-
phonie, anstatt durch Reden, Schreiben, Predigen, Politisieren und Kriegführen. —

Dies Buch ist eine aus eigener Kraft unternommene und durchgeführte Unter-
suchung. Die Verfasserin weiß nichts von der neuesten deutschen Musikästhetik, sie
kennt nicht die Gestalt- und Ganzheitpsychologie und bleibt daher hinter dem gegen-
wärtigen Stand der Forschung zurück. Aber der Wert des Buches als einer eigen-
tümlichen Leistung wird dadurch nicht geschmälert. Die Einfühlungsfähigkeit, mit
der die Verfasserin nicht nur die musikalischen Erlebnisse ihrer Mitarbeiter schil-
dert, sondern deren ganze Persönlichkeit erfaßt, ist außerordentlich. Ich rate jedem,
das lebhaft und anmutig geschriebene Buch selber zu lesen.

Berlin. Max Dessoir.

Schriftenverzeichnis für 1932.

I. Ästhetik.

1. Geschichte und Allgemeines.

Chambers, F. P., The history of taste; an account of the revolutions of art
criticism and theory in Europe. New York: Columbia Univ. Press. 4 $ 25 c.

Chevrillon, Andre, Taine. Formation de sa pensee. Paris (VIII, 415 S.).

Colorni, Eugenio, L'Estetica di Benedetto Croce. Studio critico. Milano: Soc.
Editrice La Cultura.

Ewald, August, Idee und Liebe. Studien in Dichtg. u. Kunst. Potsdam: Mül-
ler & Kiepenheuer (163 S. mit Fig.) gr. 8». 3.80 M.; Lw. 4.80 M.
 
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