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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 33.1939

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Müller-Freienfels, Richard: Kunsterkenntnis und Kunstverständnis, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14216#0128

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RICHARD MÜLLER-FREIENFELS

hinzutun muß, was in den Gegebenheiten nur sehr zum Teil mit-
gegeben, wenn auch irgendwie „fundiert" sein muß.

Für das wissenschaftlich erkennende Objekterleben hat das ja Kant
grundsätzlich ausgesprochen, wenn auch seine Kategorien nur ein sehr
pauschales und recht unzureichendes Schema darstellen, das der Wirk-
lichkeit nicht gerecht wird. Wenn ich z. B. ein Selbstporträt Rembrandts
als solches „erkenne" (wobei wir zunächst von allem spezifisch ästheti-
schem Erleben absehen), so ist dabei mit den schematischen Kategorien
der Substantialität, der Einheit, der Realität usw., die gewiß ins Spiel
treten, sehr wenig erklärt. Zum „Erkennen" des Objekts trage ich aus
meiner Subjektivität weit mehr hinzu, wenn ich es als „Bild", als Selbst-
porträt, als einen „Rembrandt" erkenne, wenn ich feststelle, daß es ein
Spätwerk ist, daß darin alles rein malerisch, ganz „unlinear" gestaltet
ist, wenn ich Urteile über die Komposition, das Kolorit, die Lichtführung
usw. fälle, um nur ein paar Feststellungen zu nennen, die man „erkennend"
an das Objekt heranträgt. Wohl sind sie im Objekt z. T. „gegeben", aber
nur für den, dessen Geist diese „Gegebenheiten" zu „ergänzen" vermag.
Denn ein Bauer, vor das Bild gestellt, sieht von alledem überhaupt nichts:
er sieht nur das Bild eines alten Mannes, das ihm sonst wenig „sagt".

Ist schon das Erkennen nicht bloß ein Hinnehmen des Gegebe-
nen, sondern ein Bereichern, ein Ausdeuten, ein Ergänzen
der Gegebenheiten, ein Prozeß also, der in seinen Grenzen gar nicht zu
umschreiben ist, so gilt das noch weit mehr vom ästhetischen Er-
leben; denn dabei werden die gleichen Gegebenheiten noch nach ganz
anderen Richtungen bereichert und ergänzt. Es treten vor allem gefühls-
hafte Erlebnisse hinzu, die im reinen Erkennen zurückgedrängt werden
und die in den objektiven Anhalten und den von ihnen ausgehenden Rei-
zen in keiner Weise „enthalten" sind, obwohl sie durch diese ausgelöst
werden oder doch ausgelöst werden können.

Am verbreitetsten, im Leben wie in der Wissenschaft, sind Begriffe,
die als Kern des ästhetischen Erlebens das Fühlen, und zwar wesent-
lich Lustgefühle, annehmen. Wenn das ästhetische Verhalten als ein
„Genießen" bezeichnet wird, so ist damit das Erleben von Lustgefüh-
len betont, ja nicht bloß das Lusterleben schlechthin, sondern ein in den
Focus des Bewußtseins geschobenes Lusterleben, das als solches Gegen-
stand der Aufmerksamkeit ist; denn das „Genießen" ist kein schlichtes
Erleben, sondern ein, wenn auch nicht im intellektualistischen Sinne
„reflektiertes" Erleben. Es ist etwas anderes, wenn jemand einen guten
Wein, statt ihn einfach unter allerlei Lustgefühlen hinunterzuspülen,
„genießt". In diesem Falle richtet sich die Aufmerksamkeit auf die
Lustgefühle; sie werden „ausgekostet", akzentuiert, gleichsam von einer
höheren Ebene aus nochmals erlebt. Nicht immer freilich wird der Be-
 
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