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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 33.1939

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Hackel, Alexej A.: Das russische Italienerlebnis im 18. Jahrhundert: zur Ästhetik des russischen Europäertums
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https://doi.org/10.11588/diglit.14216#0171

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ITALIENERLEBNIS

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„Kolorit, Licht und Schatten machen ein Gemälde nicht so schätzbar, wie
die edle Kontur", schrieb Winckelmann damals.

Die russischen Akademiker zogen die letzten Konsequenzen aus dieser
Lehre. Zahmheit, Eklektizismus, Farbenblindheit und Schema war das Er-
gebnis. Eine eisige marmorne Kälte wehte von den Bildern eines Sokolows
oder eines Egorows35).

Ein so eigenwilliger Maler wie Lossenko büßt während seines fünf-
jährigen Aufenthaltes in Rom seine Selbständigkeit ein und kehrt als
Nachahmer Poussins und Schüler Winckelmanns heim30).

Wohl gibt es auch Ausnahmen. Nicht in Rom, sondern im färben- und
lichtgesegneten Venedig entdeckt ein russischer Akademiestipendiat, was
ihm die Akademie nicht geben konnte. Ist es zu verwundern, daß der erste
russische Landschaftsmaler F. Alexejew dem zauberhaften Bann dieser
märchenhaften Stadt verfiel, die aus den Wassern aufzutauchen scheint
und deren marmorne Paläste mit ihren Säulen und Balkons geheimnisvoll
sich in den stillen Wassern widerspiegeln37).

Im Jahre 1773 kam der zwanzigjährige Alexejew nach Venedig und
während seines sechsjährigen Aufenthaltes in der tänzelnden, flanieren-
den, Feste feiernden Lagunenstadt lernte er sie mit den Augen Beiottos
und Guardis sehen. Nach Rußland zurückgekehrt, wurde er zum russischen
Canaletto. In Petersburg fand er sein zweites Venedig. Die lichte Ferne
und die majestätische Weite der nordischen Palmyra v/eckte in ihm vene-
zianische Erinnerungen. Auch in Petersburg fand er die aus Licht und
Wasser geborene Atmosphäre, den Widerschein des flimmernden Lichtes
auf dem breiten Strom, hinter dem sich in seltsamer Beleuchtung die mo-
numentale Front der Paläste und Kirchen erhob und in ihrer vertikalen
Statik wie ein Wunder wirkt. Das alles suchte er in seinen Petersburger
Veduten festzuhalten.

Seine Ansichten des Palaiskais, der Börse und der Admiralität mit
den kleinen an Guardi erinnernden Menschengruppen im Vordergrund,
mit dem warmen bräunlichen Ton der gesteigerten Lichtwirkung bedeu-
teten ein Novum in der russischen Prospektmalerei.

35) O. Wulff, Geschichte der neurussischen Malerei. Augsburg 1932. S. 84—95.
J. Hasselblatt, Historischer Überblick der Entwicklung der kaiserlich-russischen
Akademie der Künste in St. Petersburg. Petersburg-Leipzig 1886. Kondakow, Das
Jubiläumsbuch (sprawotschnik) der Kais. Akademie der Künste (1764—1914). Pe-
tersburg 1914. (Russisch.) A. Trubnikow, Die ersten Stipendiaten der Kais. Akademie
der Künste im XVIII. Jahrhundert, in der Zeitschrift „Starye Gody" 1909 und 1916.

36) Wulff, a. a. O., S. 43 f. S. auch Ernst, Lossenko in der Zeitschrift „Starye
Gody" 1914. Stählin, a. a. O., S. 277 ff.

37) Wulff, a. a. O., S. 91. Nikolskij, Geschichte der russischen Kunst. Petrograd-
Berlin 1928 (Russisch).
 
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