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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 33.1939

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Mutius, Gerhard von: Amarna
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https://doi.org/10.11588/diglit.14216#0179

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BEMERKUNGEN

165

Mir den heiligen Odem zuerst in den keimenden Busen.

Nicht von irdischer Kost gedeihen einzig die Wesen,

Aber du nährest sie all mit deinem Nektar, o Vater7

Und es drängt sich und rinnt aus deiner ewigen Fälle

Die beseelende Luft durch alle Röhren des Lebens.

Darum lieben die Wesen dich auch und ringen und streben

Unaufhörlich hinauf nach dir in freudigem Wachstum.

Himmlischer! sucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze,

Streckt nach dir die schüchternen Arme der niedrige Strauch nicht?

Daß er dich finde, zerbricht der gefangene Same die Hülse;

Daß er belebt von dir in deiner Welle sich bade,

Schüttelt der Wald den Schnee wie ein überlästig Gewand ab.

Auch die Fische kommen herauf und hüpfen verlangend

Über die glänzende Fläche des Stroms, als begehrten auch diese

Aus der Wiege zu dir; auch den edeln Tieren der Erde

Wird zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige Sehnen,

Die geheime Liebe zu dir sie ergreift, sie hinaufzieht.

Stolz verachtet den Boden das Roß, wie gebogener Stahl strebt

In die Höhe sein Hals, mit der Hufe berührt es den Sand kaum.

Wie zum Scherze berührt der Fuß der Hirsche den Grashalm,

Hüpft, wie ein Zephir, über den Bach, der reißend hinabschäumt,

Hin und wieder und schweift, kaum sichtbar, durch die Gebüsche.

Aber des Äthers Lieblinge, sie, die glücklichen Vögel,

Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters!

Raums genug ist für alle. Der Pfad ist keinem bezeichnet,

Und es regen sich frei im Hause die Großen und Kleinen.

Über dem Haupte frohlocken sie mir, und es sehnt sich auch mein Herz

Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimat

Winkt es von oben herab."'

Auch auf die Psalmen 104, 148, namentlich aber den herrlichen 139, sei ver-
wiesen.

Wenn in der bekannten Modellbüste der Königin Nofretete der ausgeführte
farbige Realismus der Darstellung uns nahebringt, wie ähnlich die vornehmen
Frauen aller Zeiten untereinander sind, wenn wir fühlen, dieser grande dame könn-
test du heute begegnen (vergessen wir darüber aber nicht den mystischen Zusatz,
den ihr Name erhielt: „der Schönste der Schönen ist der Atön"), so spricht doch
aus manchen anderen der leichtgetönten, zum größeren Teil aber nicht mehr
farbig auf uns gekommenen Porträtskizzen ein eigentümlich die Wirklichkeit über-
fliegender, ein ekstatischer Lebensrausch zu uns. Irgendwie zeugen sie von einer
großen Trunkenheit, einer göttlichen Mania, in welche diese späten Funde einer
längst verschütteten Zeit auch noch den heutigen Beschauer hineinzuziehen ver-
suchen.

Zu dem in seiner Schlichtheit Ergreifendsten, was die Amarnazeit uns hinter-
lassen hat, gehören die Bruchstücke einiger nachgebildeter menschlicher Glieder,
ein wunderbarer Fuß, ein rührend zarter Frauenarm und schließlich vor allem
jene beiden ineinander ruhenden Hände des Königs und der Königin! Hier spricht
das blumenhaft Zarte des Amarnastiles in höchster Vollendung zu uns. Jene in-
einander gelegten Hände sind aber über den nur künstlerischen Schmelz hinaus ein
innigster Ausdruck des Prinzips der „Gemeinschaft", in dem wir das geistige
Gegenbild oder, wenn man will, den „Sinn" des „Strahlenatöns" fanden.
 
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