BESPRECHUNGEN
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mehr gibt, wohl aber ein objektives Erkennen und Werten auch über die Möglich-
keiten des eigenen Schaffens hinaus.
Ebensowenig wie die Melodie kann die Handlung erdacht werden, wenn sie
Überzeugungskraft und innere Folgerichtigkeit besitzen soll. Der Dichter holt sie
aus den Tiefen, vom Grunde der Menschheitserfahrungen bis hinauf an die Ober-
fläche seiner Zeit. Für ihn kann das älteste Motiv neu und unberührt sein. Freilich
gehört zur Erfindung einer solchen, gleichnishaften Handlung, die ein Stück Welt-
erleben spiegelt, nicht nur persönliche Begnadung, sondern auch eine günstige Ge-
samtsituation, „daß die Zeit reif sei". — „Die Phantasie der Menschheit kreist be-
ständig um die gleichen Probleme." Geht man zu den Quellen zurück, so zeigt sich,
daß die Auswahl der Motive zu jeder Zeit eine sehr beschränkte, wenn auch äußerst
variationsfähige war. Innerhalb des Dramatischen: der ewig gültige Gegensatz zwi-
schen Ich und Gemeinschaft, Trieb und Sittlichkeit, der sich auf alle Ebenen mensch-
lichen Geschehens transponieren läßt, dann der Machtkampf, der Generationen-
konflikt zwischen Vater und Sohn, schließlich die Tragödie des eigenmächtig han-
delnden Liebestriebes. Eine weitere Gruppe tragischer Helden, die besonders Shake-
speare ausführlich behandelt hat, bilden die Außenseiter des Lebens, die von der
Natur gekränkten Willensmenschen (Shylock, Richard III., Othello usw.).
Gerade in diesem Zusammenhang fällt auf, wie ergiebig und echt auch im
psychologischen Sinne die aus der Handlung erwachsenden Gestalten sein
können. Als Träger des Geschehens rücken sie gleichsam von selber auf den ihnen
gemäßen Platz und sind in ihrem Wesen endgültig und richtig bestimmt. Bewußte
Charakterdarstellung müht sich oft vergebens um das, was dem echten Dramatiker
fast unverdient in den Schoß fällt. Denn — so sagt der Verfasser —, „was ein Mensch
denkt, charakterisiert ihn nicht, denken läßt sich alles; erst sein Handeln in bestimm-
ten Situationen sagt aus, wer und was er ist".
Wo die Handlung ihr Erstgeburtsrecht aufgeben muß und nichts weiter mehr
darstellt als eine lose Verknüpfung in sich geschlossener Zustandsbilder, eine Perlen-
schnur poetischer Kostbarkeiten, verliert auch ihr Ausgang, der versöhnende und
ausgleichende Schlußakkord alles Geschehens, seine tiefe Bedeutung. Der Glaube an
eine sinnvolle Schicksalsführung ist zu manchen Zeiten so schwach geworden, daß
der „gute Ausgang" als ein billiges und verlogenes Zugeständnis an die allgemeine
Leichtgläubigkeit von vielen Dichtern verschmäht, und ein klangloser und ruhmloser
Untergang als lebenswahrer empfunden wird.
Auch dem Epos — so meint Scheffler —, ist sein unausschöpfbares Thema ge-
geben in der Auseinandersetzung von Individuum und Gemeinschaft, von Held und
Umwelt, die ihm oft feindlich gegenübertritt und die er später innerlich oder äußer-
lich überwindet. Ob dabei Odysseus in die Unterwelt steigend die Schatten der Ver-
gangenheit beschwört oder ob der moderne Held eines Entwicklungsromanes in seiner
eigenen Brust nach dem Ursprung seiner Qualen forscht, gilt gleich.
Über das Wesen der Raumkünste hat Scheffler seine Gedanken schon viel-
fach an anderer Stelle niedergelegt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird
der bildenden Kunst ein kürzer gefaßtes Kapitel gewidmet, das sich zunächst mit
den Gesetzen der Statik, dem Element des Zuständlichen, des Existenziellen befaßt
und die Gegebenheiten der raum-körperlichen Kunst mit denen von Musik und Dich-
tung vergleicht. Auch auf malerischem und plastischem Gebiet wird eine erstaun-
liche Einheitlichkeit der Motive über Zeiten und Völker hinweg festgestellt, die vom
Beschauer um so müheloser erkannt werden kann, je besser er sich auf die Stil- und
Formensprache des jeweiligen Zeitabschnittes versteht.
Unter H a 1 b k u n s t versteht der Verfasser außer dem mit dem Schöpferischen
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mehr gibt, wohl aber ein objektives Erkennen und Werten auch über die Möglich-
keiten des eigenen Schaffens hinaus.
Ebensowenig wie die Melodie kann die Handlung erdacht werden, wenn sie
Überzeugungskraft und innere Folgerichtigkeit besitzen soll. Der Dichter holt sie
aus den Tiefen, vom Grunde der Menschheitserfahrungen bis hinauf an die Ober-
fläche seiner Zeit. Für ihn kann das älteste Motiv neu und unberührt sein. Freilich
gehört zur Erfindung einer solchen, gleichnishaften Handlung, die ein Stück Welt-
erleben spiegelt, nicht nur persönliche Begnadung, sondern auch eine günstige Ge-
samtsituation, „daß die Zeit reif sei". — „Die Phantasie der Menschheit kreist be-
ständig um die gleichen Probleme." Geht man zu den Quellen zurück, so zeigt sich,
daß die Auswahl der Motive zu jeder Zeit eine sehr beschränkte, wenn auch äußerst
variationsfähige war. Innerhalb des Dramatischen: der ewig gültige Gegensatz zwi-
schen Ich und Gemeinschaft, Trieb und Sittlichkeit, der sich auf alle Ebenen mensch-
lichen Geschehens transponieren läßt, dann der Machtkampf, der Generationen-
konflikt zwischen Vater und Sohn, schließlich die Tragödie des eigenmächtig han-
delnden Liebestriebes. Eine weitere Gruppe tragischer Helden, die besonders Shake-
speare ausführlich behandelt hat, bilden die Außenseiter des Lebens, die von der
Natur gekränkten Willensmenschen (Shylock, Richard III., Othello usw.).
Gerade in diesem Zusammenhang fällt auf, wie ergiebig und echt auch im
psychologischen Sinne die aus der Handlung erwachsenden Gestalten sein
können. Als Träger des Geschehens rücken sie gleichsam von selber auf den ihnen
gemäßen Platz und sind in ihrem Wesen endgültig und richtig bestimmt. Bewußte
Charakterdarstellung müht sich oft vergebens um das, was dem echten Dramatiker
fast unverdient in den Schoß fällt. Denn — so sagt der Verfasser —, „was ein Mensch
denkt, charakterisiert ihn nicht, denken läßt sich alles; erst sein Handeln in bestimm-
ten Situationen sagt aus, wer und was er ist".
Wo die Handlung ihr Erstgeburtsrecht aufgeben muß und nichts weiter mehr
darstellt als eine lose Verknüpfung in sich geschlossener Zustandsbilder, eine Perlen-
schnur poetischer Kostbarkeiten, verliert auch ihr Ausgang, der versöhnende und
ausgleichende Schlußakkord alles Geschehens, seine tiefe Bedeutung. Der Glaube an
eine sinnvolle Schicksalsführung ist zu manchen Zeiten so schwach geworden, daß
der „gute Ausgang" als ein billiges und verlogenes Zugeständnis an die allgemeine
Leichtgläubigkeit von vielen Dichtern verschmäht, und ein klangloser und ruhmloser
Untergang als lebenswahrer empfunden wird.
Auch dem Epos — so meint Scheffler —, ist sein unausschöpfbares Thema ge-
geben in der Auseinandersetzung von Individuum und Gemeinschaft, von Held und
Umwelt, die ihm oft feindlich gegenübertritt und die er später innerlich oder äußer-
lich überwindet. Ob dabei Odysseus in die Unterwelt steigend die Schatten der Ver-
gangenheit beschwört oder ob der moderne Held eines Entwicklungsromanes in seiner
eigenen Brust nach dem Ursprung seiner Qualen forscht, gilt gleich.
Über das Wesen der Raumkünste hat Scheffler seine Gedanken schon viel-
fach an anderer Stelle niedergelegt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird
der bildenden Kunst ein kürzer gefaßtes Kapitel gewidmet, das sich zunächst mit
den Gesetzen der Statik, dem Element des Zuständlichen, des Existenziellen befaßt
und die Gegebenheiten der raum-körperlichen Kunst mit denen von Musik und Dich-
tung vergleicht. Auch auf malerischem und plastischem Gebiet wird eine erstaun-
liche Einheitlichkeit der Motive über Zeiten und Völker hinweg festgestellt, die vom
Beschauer um so müheloser erkannt werden kann, je besser er sich auf die Stil- und
Formensprache des jeweiligen Zeitabschnittes versteht.
Unter H a 1 b k u n s t versteht der Verfasser außer dem mit dem Schöpferischen