EWIGE ARCHAIK
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Musik der gleichen Stufen gleichfalls, und zwar in mehr-
facher Hinsicht. Der Freude am Quantitativen, an der reinen, von innen
nicht erleichterten Masse in ihrer dräuenden Wirkung entspricht in den
asiatischen Orchestern das Gefallen an der reinen Tonquantität, am L ä r m,
an der geräuschvollen Entfaltung von Tonmassen ohne innere Gliederung
und planmäßige Zusammensetzung. Grenzt dies schon an mehr innerliche,
auch psychologisch zu fassende Hemmungen und Verfassungen des primi-
tiven und archaischen Menschen (wovon noch zu reden sein wird), so
gehören doch zum Naturismus im engsten Sinn u. a. noch folgende Tat-
sachen. Durchaus „mit der Natur", d. h. mit der natürlichen Erschlaffung
der Stimmbänder, ist der durchweg abwärtsgerichtete „Tonfall" der Me-
lodien, wie denn auch die Tonleitern von oben nach unten gelesen werden
müssen. Bezeichnend ist der diametrale Gegensatz abendländischer und
orientalischer Gesangskunst. Das Abendland ist auf Festigkeit und Unter-
schiedlichkeit der sauber abgestuften Tonhöhen bedacht. Im Orient setzt
mindestens der unbegleitete Gesang eine feste Tonleiter nicht voraus. Das
für unsere Ohren oft unreine Singen der Exoten (besonders kennzeichnend
ist der No-Gesang der Japaner) erklärt sich aus dem häufigen Passieren
von Teilstufen des Halb-(Viertel-, Achtel-)Tons, dem beständigen Glissando
und Portamento, gleitenden Intonieren der Nebentöne. Die Tonschrift des
No-Gesanges gibt im Gegensatz zur abendländischen Notation überhaupt
keine festen Tonhöhen und Abstände, sondern kennt nur Zeichen für
Stimmlagen und Melodieformeln. Ein solches, oft mehr improvisierendes
Singen geschieht „mit der Natur"; es setzt keinen, im Tonsystem nieder-
gelegten, abstrahierenden Erkenntnis- und Willensakt voraus. Dem scheint
nun freilich das fast in allen Frühkulturen seit dem 4. Jahrtausend ver-
breitete pentatonische System zu widersprechen, welches eine Ton-
auswahl aus der Oktave als Fix- und Haltepunkte aufstellt. Aber diese
Gebrauchsleiter gilt zunächst nur für die Instrumentalmusik und ist im
Zusammenhang mit ihr entstanden. Sodann ist auch hier mit den Material-
und Instrumentalleitern noch keine Bindung für größte und kleinste Inter-
valle gegeben. Viertel- und Achteltöne, überhaupt alle Stufen unter Halb-
tongröße gehören nicht zum System, aber sie werden als Durchgänge,
Verzierungen etc. gern passiert, in ganz improvisatorischer, zufälliger
Weise und ohne daß sie als solche recht zum Bewußtsein kommen. Gewiß
ist durch die Pentatonik Ordnung und fester Umriß gegeben — so etwa
wie in archaischer Baukunst der Wille zu mathematisch-regelmäßigen
Körpern mit der Anhänglichkeit an natürliche Zufallsformen sich ausein-
andersetzt oder wie in der Plastik das Bevorzugen bestimmter typischer
Ansichten, ein streng flächenhafter Reliefstil der Nachbildung mehr zu-
fälliger Eindrucksbilder begegnet, die noch der ursprünglichen (eidetischen)
Naturstufe des Impressionismus entsprechen. Nach dem heutigen Stand der
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Musik der gleichen Stufen gleichfalls, und zwar in mehr-
facher Hinsicht. Der Freude am Quantitativen, an der reinen, von innen
nicht erleichterten Masse in ihrer dräuenden Wirkung entspricht in den
asiatischen Orchestern das Gefallen an der reinen Tonquantität, am L ä r m,
an der geräuschvollen Entfaltung von Tonmassen ohne innere Gliederung
und planmäßige Zusammensetzung. Grenzt dies schon an mehr innerliche,
auch psychologisch zu fassende Hemmungen und Verfassungen des primi-
tiven und archaischen Menschen (wovon noch zu reden sein wird), so
gehören doch zum Naturismus im engsten Sinn u. a. noch folgende Tat-
sachen. Durchaus „mit der Natur", d. h. mit der natürlichen Erschlaffung
der Stimmbänder, ist der durchweg abwärtsgerichtete „Tonfall" der Me-
lodien, wie denn auch die Tonleitern von oben nach unten gelesen werden
müssen. Bezeichnend ist der diametrale Gegensatz abendländischer und
orientalischer Gesangskunst. Das Abendland ist auf Festigkeit und Unter-
schiedlichkeit der sauber abgestuften Tonhöhen bedacht. Im Orient setzt
mindestens der unbegleitete Gesang eine feste Tonleiter nicht voraus. Das
für unsere Ohren oft unreine Singen der Exoten (besonders kennzeichnend
ist der No-Gesang der Japaner) erklärt sich aus dem häufigen Passieren
von Teilstufen des Halb-(Viertel-, Achtel-)Tons, dem beständigen Glissando
und Portamento, gleitenden Intonieren der Nebentöne. Die Tonschrift des
No-Gesanges gibt im Gegensatz zur abendländischen Notation überhaupt
keine festen Tonhöhen und Abstände, sondern kennt nur Zeichen für
Stimmlagen und Melodieformeln. Ein solches, oft mehr improvisierendes
Singen geschieht „mit der Natur"; es setzt keinen, im Tonsystem nieder-
gelegten, abstrahierenden Erkenntnis- und Willensakt voraus. Dem scheint
nun freilich das fast in allen Frühkulturen seit dem 4. Jahrtausend ver-
breitete pentatonische System zu widersprechen, welches eine Ton-
auswahl aus der Oktave als Fix- und Haltepunkte aufstellt. Aber diese
Gebrauchsleiter gilt zunächst nur für die Instrumentalmusik und ist im
Zusammenhang mit ihr entstanden. Sodann ist auch hier mit den Material-
und Instrumentalleitern noch keine Bindung für größte und kleinste Inter-
valle gegeben. Viertel- und Achteltöne, überhaupt alle Stufen unter Halb-
tongröße gehören nicht zum System, aber sie werden als Durchgänge,
Verzierungen etc. gern passiert, in ganz improvisatorischer, zufälliger
Weise und ohne daß sie als solche recht zum Bewußtsein kommen. Gewiß
ist durch die Pentatonik Ordnung und fester Umriß gegeben — so etwa
wie in archaischer Baukunst der Wille zu mathematisch-regelmäßigen
Körpern mit der Anhänglichkeit an natürliche Zufallsformen sich ausein-
andersetzt oder wie in der Plastik das Bevorzugen bestimmter typischer
Ansichten, ein streng flächenhafter Reliefstil der Nachbildung mehr zu-
fälliger Eindrucksbilder begegnet, die noch der ursprünglichen (eidetischen)
Naturstufe des Impressionismus entsprechen. Nach dem heutigen Stand der