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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Kluge, Otto: Der Humanismus als ästhetische Idee
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0110
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Der Humanismus als ästhetische Idee

Von
Otto Kluge

Die Lösung des Problems, inwieweit und mit welchem Recht der
Humanismus eine ästhetische Bewegung heißen kann, darf sich nicht mit
der Darstellung und Analyse ästhetischer Phänomene begnügen, sondern
muß diese betrachten als einen Teil der gesamten nationalen Geistes-
entwicklung und sie verstehen im Zusammenhang mit den philosophi-
schen und künstlerisch-kulturellen Vorgängen der Zeit. Jedes Zeitalter
trägt an die Ergründung der Vergangenheit einen eigenen ihm adäqua-
ten Maßstab heran, setzt sich deren Wirkungen aus, soweit sie seinem
eigenen Bewußtsein und Bedürfnis entsprechen. Diese Wirkungen mit
rein ästhetischen Maßstäben zu bemessen ist um so schwieriger, je kräf-
tiger in den Werken der Zeit das Pathos einer Idee lebt.

Die Menschen der römischen Kaiserzeit sahen in dem frühe-
ren Griechentum etwas Hohes und Erhabenes, einen Idealzustand des
stillen Glückes und reinen Lebensgenusses. Das Mittelalter brachte
in diese heitere Melodie der Schönheit den Grundton ernster Lebens-
betrachtung, indem es entweder die antike Welt mit seiner eigenen reli-
giösen Haltung in Übereinstimmung brachte oder jene Sinnenfreudigkeit
als etwas Vergängliches oder auch Ungöttliches und Sündhaftes verwarf.
Diese verschiedene Betrachtungs- und Erscheinungsweise rechtfertigt den
klassischen Ausspruch W. v. Humboldts, daß „vom Altertum aus alle
mannigfaltigen menschlichen Sinnes- und Vorstellungsarten verständlich
werden"1). Auch Renaissance und Humanismus fanden in der
Antike, was sie suchten, eine Bestätigung des Dogmas vom harmoni-
schen Zustand, der Lebensfreude einerseits und Vorbilder für ihre Theorie
des Weltabgekehrtseins, der Sehnsucht nach schönerem Leben anderseits.
Die Philosophenschulen der Epikuräer und Stoiker boten System und
Objekte. Dem impressionistischen Erfülltsein von den wechselnden Reizen
des antiken Lebens entsprach eine expressionistische Hingabe der Seele

x) W. v. Humboldt, Latium u. Hellas od. Betrachtungen ü. d. klass. Altertum.
Ges. Sehr., herausg. v. d. Preuß. Akad. d. W., Bd. 3. Bln. 1904. S. 137.
 
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