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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Klopfer, Paul: Zur Frage der Ästhetik des architektonischen Raumes
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0032
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PAUL KLOPFER

Hinsichtlich des ästhetischen Wertes der tek tonischen Baukunst kann
im Zuge der oben genannten „objektiven" Theorie und im Einklang mit
der Schopenhauerschen Auffassung festgestellt werden, daß der „Kampf
zwischen Schwere und Starrheit" am klarsten und schönsten in der hel-
lenischen Baukunst zum Ausdruck gekommen ist. Aber auch im Sinne
der „psychologischen" Theorie der Ästhetik, also vom wahrnehmenden
Subjekt ausgehend, finden wir das gleiche Ergebnis, denn der Begriff des
Maßes, herausgeboren aus dem Menschlichen, mag es sich nun auf das
Individuum oder auf den Staat erstrecken, findet sich in der hellenischen
Baukunst — sei dies im ganzen oder in den Einzelheiten — immer und
immer wieder ausgedrückt. Dadurch, daß der Hellene sich selbst zum
Maßstab alles dessen machte, was er dachte und fühlte, und zwar im Sinne
des von ihm erkannten göttlichen Ideals, schuf er im Tempelbau als dem
vornehmsten Werk seiner Kunst ein struktives System von göttlicher
Menschlichkeit und Geschlossenheit, wie es niemals wieder erstanden ist.
Von der Schwere eines frühdorischen Tempels bis zur Eleganz des Erech-
theions und seiner Korenhalle geht der Weg gleichsam vom Groben zum
Feineren und Feinsten; jeder Bau aber ist in seiner Selbstartigkeit und
Beziehungslosigkeit zur Umgebung einzig ein Werk für sich, immer aus
neuer Wurzel herausgeschaffen — abh'ängig nur von dem Grundplan, der
den Schlüssel für das ganze Werk bestimmt. So, wie der Mensch selber
ein Unteilbares, ein Individuum, darstellt, so sind auch die hellenischen
Tempel voll ihres Körpergefühls, sind sie in dieser Hinsicht sein Ebenbild.

So dürfen wir die Werke der griechischen klassischen (vom Osten noch
nicht beeinflußten) Baukunst mit Recht als eine Übertragung des mensch-
lichen Organismus in die abstrakte Sprache des Steines bezeichnen. Unser
Genuß an ihren Schönheiten ist der Genuß an unseren eigenen organischen
Kräften und Bildungen. Denn wir unterstehen dem gleichen Gesetz der
Schwere wie das tektonische Gebilde und bringen dieses Gesetz auch
ständig zum Ausdruck, wenn unsere Äußerungen (in Gleichgewicht, Rhyth-
mus und Proportionalität) auch seltener statisch, öfter dynamisch sind.
Der Ausdruck aber dieses Gesetzes ist eben das, was wir als „schön" be-
zeichnen, ob wir uns nun in den Gegenstand objektivieren oder das Schöne
in der Anschauung (Kontemplation) des Kampfes der Starrheit gegen die
Schwere erleben — nur muß es sich bei diesem Gegenstand um ein t e k -
tonisches Gebilde handeln.

Wie nun steht es demgegenüber mit der stereotomen Baukunst?

3. Die Stellung der stereotomenBaukunst zum Schönen.

Gottfried Semper

Im stereotomen Bau fehlt das menschlich-immanente Moment; wir
kommen ihm weder auf objektivem noch auf subjektivem Wege ästhetisch
 
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