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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0158
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144

BESPRECHUNGEN

Dafür sind die einschlägigen Kapitel in ihrer Gedrängtheit zu knapp und damit zu
unanschaulich, und auch der Abbildungsteil wird der Fülle des Materials nicht an-
nähernd gerecht. Der Verfasser strebt vielmehr mit aller Macht auf eine metho-
dische Durchdringung kunstwissenschaftlicher Probleme hin. Merkwürdigerweise
beginnt er mit einer Polemik gegen den „sehr unrealen Begriff der Weltanschau-
ung" und gegen die Art „Kunstwissenschaft, die allen künstlerischen Wandel nur
immer als immanenten Ablauf sah", und stellt ihr die Forderung entgegen, „in weit
höherem Maß als bisher mit den realhistorischen Zusammenhängen" zu rechnen.
Wir können es uns ersparen, zu untersuchen, ob eine solche Rückkehr zu einseitigem
Positivismus gerade heute eine beglückende Bereicherung für die Forschung wäre,
denn der Verfasser verläßt in demselben Kapitel noch diesen von ihm selbst vor-
gezeichneten Weg. Schon die Aufnahme der Pinderschen Formulierungen zur Kenn-
zeichnung des deutschen Wesens kann ich nicht anders als Konzession an immanente
Prinzipien bezeichnen: die Neigung zum Gewichtslosen, das Expressive, der Sage-
trieb, die Vorliebe für das Graphische und das Hervorbringen von Höchstleistun-
gen in den Spätzeiten. Das alles hat mit kausal politischem Geschehen wenig zu
tun und entbehrt doch keineswegs der Realität. Noch stärker kommt der Imma-
nenzcharakter in den folgenden Kapiteln zur Geltung. Denn wie soll man das
„West-Ost-Gefälle der europäischen Kultur" kausal deuten? Man könnte denken:
durch das Neuhinzukommen, Jungsein der östlichen Gebiete, so wie das Kind stets
zunächst vom Erwachsenen lernt, bis es selbst Jüngere lehrt. So aber soll es nicht
sein; denn dann wäre es ja auch unsinnig, ein Nord-Südgefälle überhaupt aufzu-
stellen und sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wann und wieso es einmal (man
sollte meinen: meistens) rückläufig wird. Sollte es sich hier nicht doch um eine
nun wirklich real historische Angelegenheit handeln, die mit dem großartigen
Namen unnötig geheimnisvoll aufgeputzt wird?

Sehr viel interessanter ist jedenfalls das Problem „Außeneuropa" und seine
Erscheinungen: die Neigung der Randgebiete zum Verfeinern und Vervielfältigen
gegenüber dem Zentrum. Hier kommen wir mit Kausalität und realpolitischer Ge-
schichte nicht aus und können gar nicht anders, als komplizierte psychologische Vor-
gänge des Menschendaseins heranzuziehen, für die wir eben kein besseres Wort
haben als Immanenz und geschichtliches Gesetz, das heißt psychische Anpassungs-
fähigkeit und Wandlungszwang des Menschen, die Voraussetzung jeder Kultur über-
haupt. Jede Feststellung eines Nationalstils — und hier kommen wir zu den letzten
Kapiteln über das „Sudetenländische" und das „Tschechische" — lebt von Imma-
nenzbegriffeu und von der Weltanschauung. Denn wenn man auch den Hang zu
Massigkeit und Breite durch den Rassetyp des Rundschädels „erklärt", so bedeutet
das letztlich doch nur eine Verlegung des Problems. Denn man wird zugeben müs-
sen, daß der Nationalstil konstanter ist als die Leibesbeschaffenheit, daß die böh-
mischen Bildhauer und Maler, die schwere, massige Werke schufen, keineswegs alle
Angehörige des alpinen Typs gewesen sein dürften. Hier zeigt nun das geschicht-
liche Gesetz und seine überindividuelle Macht doch wieder seine Wirksamkeit. War-
um aber wollen wir die Geschichte — eins der kostbarsten Besitztümer des Men-
schen, in der er sich vor allem vom Tier unterscheidet, — durch diesen unseligen und
scheinbar nie aussterbenden Methodenstreit überflüssig arm machen, so, als könne
ein solch wunderbares Phänomen, wie die menschliche Kultur es ist, nicht zwei oder
drei oder viele Ströme erzeugen, die mit- und ineinander unser Dasein durchziehen?

Schwerin. M. Riemschneider-Hoerner.

Verantwortlich für den Textteil: Prof. Dr. Eichard Müller-Frcienfels, Berlin, für den
Anzeigenteil: Walt her Thassilo Schmidt-Gabain, Stuttgart. — I, v. W. g. — Verlag von
Ferdinand Enke in Stuttgart. A. Oelschläger'sche Buchdruckerei, Cahv. Printcd in Germany.
 
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