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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Lindlar, Heinrich: Hans Pfitzners Liedästhetik: Ruf und Widerhall
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0160
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HEINRICH LINDLAR

salis — die gefühlsgesteigerte barocke Haltung absolut-musikalische Ge-
bilde mit subordiniertem Text schafft und die rational-klassische An-
schauung Subordination der Musik unter meist didaktischen Text verlangt.
Daß endlich die Romantik zur Koordination von Dichtung und Musik
kam, liegt nicht sowohl an der jetzt voll aufgeblühten hohen Lyrik, als
vielmehr an dem spezifisch romantischen Doppelwesen, aus dem sich ihre
so gegensätzlich scheinenden Liedleistungen von Schubert bis hin zu Wolf
erklären. Schumann, der die Mitte hält, schreibt in einer sympathetischen
Besprechung der Lieder Theodor Kirchners, sie seien „oft nur die Über-
setzungen der Gedichte für das Klavier, gewissermaßen Lieder ohne
Worte, aber durch Worte angeregt", und er fordert dazu „neben solchem
Ausdrucke des Ganzen sollen auch die feineren Züge des Gedichts hervor-
treten, und so ist's recht, wenn darunter der Gesang nicht leidet"1).

Aus solchem Geiste hat Clara Schumann später den jungen Brahms
bei Gelegenheit der „Volkskinderlieder" (1858) ermutigt: „Du selbst mußt
ja am besten wissen, daß nur ein Genie, ein Gemüt, das ganz Poesie und
Musik ist, ein solch inniges Ineinandergreifen von Melodie und Harmonie
schaffen kann, oft in so wunderbar feinen Zügen, wo man bald sich
nicht mehr ein ohne das andere denken kann"2). Und Brahms selbst gibt
von hier aus deutlichen Aufschluß über die künstlerischen Intentionen
seines Liedschaffens schlichtweg mit der Feststellung:,, Das Lied segelt jetzt
so falschen Kurs, daß man sich ein Ideal nicht fest genug einprägen kann.
Und das ist nur das Volkslied"2). Dieses Ideal trieb ihn, nirgends vom
Zusammenwirken der deklamatorisch-gesanglichen mit der musikalischen
Form der Begleitung abzuweichen. Und daher ist das ,obligo' der kom-
pliziertesten Gebilde musikalischer Variationenkunst noch (obwohl in
Motivik und Harmonik weithin romantisch) getragen vom vereinheit-
lichenden klassischen Strophenprinzip, das alle Einzelwerte zugunsten
einer volkstümlich schlicht geschlossenen Einheit zurücktreten läßt. (Ähn-
lich wie Schuberts „Lindenbaum", zum Volkslied geworden, die Moll-
Variationen und das Rezitativ verliert.)

Die beiden Ströme der Klassik und der Romantik, die doch letzthin
einem gemeinsamen Quell entspringen, münden schließlich in Hans
Pfitzner, der in seinem Lied romantische Klangsymbolik und eine an der
Klassik orientierte Musiklogik zu einen trachtet. Beethoven und Schu-
mann; Brahms und Wagner; Bürger, Goethe, Keller und Kleist, Floff-
mann, Eichendorff; Kant und Schopenhauer sind seine erklärten geistigen
Ahnen, die er in „Sternenfreundschaft"3) gleichsam als Dioskuren eines
deutschen Himmels schaut. Daher mußte jede reine Formalästhetik ebenso

J) Ges. Sehr., Bd. II, Leipzig 1914, S. 123.

2) Zit. n. Müller-Blattau, Brahms. Potsdam o. J., S. 21.

3) Vgl. „Das Innere Reich", August 1936.
 
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