150
HEINRICH LINDLAR
noch der „Zivilisationsliterat" Paul Bekker seinen „mit größter Ungeniert-
heit vorgetragenen unerfreulichen und unerträglichen metaphysischen
Schwefeldunst" (II, 154): „Schon in einem Dezennium wird man über-
haupt nicht mehr für möglich halten, daß die genannten vier10): nehmen
wir Strauß hinzu: fünf Menschen als Vertreter von ebensoviel welt-
anschaulich untermauerten Richtungen gegolten haben. Ich habe diesen
Unterschied niemals gesehen . . ich sehe den Unterschied auch heute nicht.
Indessen bemerke ich mit Genugtuung, daß die inneren Zusammenhänge
zwischen Ihnen und den von Ihnen bekämpften Zeitgenossen stets klarer
erkennbar werden"11). Die öidxgioig nvev^dmv vermißt man auch in der —
allerdings gänzlich unpolemischen — wertelos ästhetisierenden Art des
gleichrassigen Oskar Bie: „Hat es einen Sinn, dieselben Gedichte in ver-
schiedenen Kompositionen zu vergleichen? Das wäre ein Primaner auf satz.
Natürlich spiegeln sie sich einmal so, einmal so, und wer es besser macht,
stellt den anderen in den Schatten. Aber wer macht es besser?"12). Gewiß
geht eine lebendige vergleichende Stilbetrachtung nicht auf billigen
Zweck und beckmesserische Besserwisserei hinaus, wohl aber möchte
sie, fern diesem impotenten Individualismus, in strenger Objektgebunden-
heit dienen, zu ganzheitlichem Erfassen der in jedem wahren Kunstwerk
wirksamen, zutiefst blutmäßig bestimmten, schöpferischen Potenz hinzu-
führen, die uns in ihrer geschichtlichen Bedingtheit ein Sinnbild ist jenes
,spiritus patris'.
Die unverkennbare Herbheit und die fortschreitend sich verdichtenden
Züge der Sehnsucht, Klage und Einsamkeit im Pfitznerschen Liede sind
in seinem Musikerherzen, das man als ein deutschestes rühmen darf13),
aus dem unmittelbaren Dichtungserlebnis selber empfangen und gestaltet.
Weder Askese noch Schönklang ist ihm Prinzip, noch herrscht der Wille
zur Ekstase, sondern alle hohe Strenge und Milde leitet sich von seinem
Ideal des Liedes her, dem Pfitzner mit ebenso großartiger Einseitigkeit
hingegeben sein muß wie ein Brahms oder Wolf dem seinigen. Dies
verkennt Frank Wohlfahrt, wenn er in einem Vergleich „Schönberg und
Pfitzner" meint, bei Pfitzner entspringe ein vorsätzlicher „Wille zur
Ekstase nicht genügend aus dem ,Erlebnis intuitiver Schau', sondern aus
dem ,Ergebnis wissenschaftlicher Ergründung' . . ." Pfitzners eigentliche
„wissenschaftliche Ergründung", die ihm dem aufschlußreichen eigenen
Geständnis nach mühselig kommt (II, 215), gipfelt in dem Bekenntnis:
10) Es waren Schönberg, Busoni, Schreker, Pfitzner.
11) Briefe an zeitgenössische Musiker. Berlin 1932, S. 80 ff.
12) Das deutsche Lied. Berlin 1928, S. 273.
13) Vgl. 3. Vorwort zur „Neuen Ästhetik der musikalischen Impotenz". Ges. Sehr.,
Bd. II.
14) Schweizerische Musikzeitung. 67. Jg., Nr. 26. Zürich 1927.
HEINRICH LINDLAR
noch der „Zivilisationsliterat" Paul Bekker seinen „mit größter Ungeniert-
heit vorgetragenen unerfreulichen und unerträglichen metaphysischen
Schwefeldunst" (II, 154): „Schon in einem Dezennium wird man über-
haupt nicht mehr für möglich halten, daß die genannten vier10): nehmen
wir Strauß hinzu: fünf Menschen als Vertreter von ebensoviel welt-
anschaulich untermauerten Richtungen gegolten haben. Ich habe diesen
Unterschied niemals gesehen . . ich sehe den Unterschied auch heute nicht.
Indessen bemerke ich mit Genugtuung, daß die inneren Zusammenhänge
zwischen Ihnen und den von Ihnen bekämpften Zeitgenossen stets klarer
erkennbar werden"11). Die öidxgioig nvev^dmv vermißt man auch in der —
allerdings gänzlich unpolemischen — wertelos ästhetisierenden Art des
gleichrassigen Oskar Bie: „Hat es einen Sinn, dieselben Gedichte in ver-
schiedenen Kompositionen zu vergleichen? Das wäre ein Primaner auf satz.
Natürlich spiegeln sie sich einmal so, einmal so, und wer es besser macht,
stellt den anderen in den Schatten. Aber wer macht es besser?"12). Gewiß
geht eine lebendige vergleichende Stilbetrachtung nicht auf billigen
Zweck und beckmesserische Besserwisserei hinaus, wohl aber möchte
sie, fern diesem impotenten Individualismus, in strenger Objektgebunden-
heit dienen, zu ganzheitlichem Erfassen der in jedem wahren Kunstwerk
wirksamen, zutiefst blutmäßig bestimmten, schöpferischen Potenz hinzu-
führen, die uns in ihrer geschichtlichen Bedingtheit ein Sinnbild ist jenes
,spiritus patris'.
Die unverkennbare Herbheit und die fortschreitend sich verdichtenden
Züge der Sehnsucht, Klage und Einsamkeit im Pfitznerschen Liede sind
in seinem Musikerherzen, das man als ein deutschestes rühmen darf13),
aus dem unmittelbaren Dichtungserlebnis selber empfangen und gestaltet.
Weder Askese noch Schönklang ist ihm Prinzip, noch herrscht der Wille
zur Ekstase, sondern alle hohe Strenge und Milde leitet sich von seinem
Ideal des Liedes her, dem Pfitzner mit ebenso großartiger Einseitigkeit
hingegeben sein muß wie ein Brahms oder Wolf dem seinigen. Dies
verkennt Frank Wohlfahrt, wenn er in einem Vergleich „Schönberg und
Pfitzner" meint, bei Pfitzner entspringe ein vorsätzlicher „Wille zur
Ekstase nicht genügend aus dem ,Erlebnis intuitiver Schau', sondern aus
dem ,Ergebnis wissenschaftlicher Ergründung' . . ." Pfitzners eigentliche
„wissenschaftliche Ergründung", die ihm dem aufschlußreichen eigenen
Geständnis nach mühselig kommt (II, 215), gipfelt in dem Bekenntnis:
10) Es waren Schönberg, Busoni, Schreker, Pfitzner.
11) Briefe an zeitgenössische Musiker. Berlin 1932, S. 80 ff.
12) Das deutsche Lied. Berlin 1928, S. 273.
13) Vgl. 3. Vorwort zur „Neuen Ästhetik der musikalischen Impotenz". Ges. Sehr.,
Bd. II.
14) Schweizerische Musikzeitung. 67. Jg., Nr. 26. Zürich 1927.