BEMERKUNGEN
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«kiektisch; weder kann er behaupten, daß diese Zuordnungen notwendig sind, noch
daß die Kreise der Erlebnisse geschlossen sind. Solche Behauptungen wären ja auch
"vermessen; aber ohne Schlüssigkeit leuchtet der große Aufwand erst recht nicht ein,
denn aus den zufälligen Beispielen, die der Historiker dem Systematiker darreicht,
kann alles Typische ebenso gestützt wie widerlegt werden. Nur dadurch, daß P.
die Systematik der Anlage mit geschichtlichen Komplexen oder individuellen Einzel-
fällen nicht beispielmäßig belegt, sondern in solche auflöst, kann er zu Beschreibungen
der Adäquatheit von Erleben und Sprache kommen, die ihm schließlich am Herzen
liegt. Dieses Dilemma geht durch das ganze Werk.
So wird bereits im ersten Band die „Lautentsprechung" als primitive Sprachform
im Kapitel „Ursprung der Sprache" abgehandelt und die naheliegende Modifikation
zwischen sachlicher Tierlautnachahmung und Lautmalerei in spielendem Sinne
nicht herausgehoben, aber doch wird Lautmalerei auch an Beispielen der neueren
Zeit erwiesen. — Die Zweigliedrigkeit, aus der der Ursprung der grammatischen
Flexion erklärbar erscheint, wird als Urfom der Sprache bezeichnet, während sie
nachher als Dualität des Erlebens etwa bei Hölderlin aufgewiesen wird.*) „Wieder-
holung, Überfüllung des Nominalstils, Sprengung und Verdichtung der Syntax"
sind wertvolle Ausdrucksunterscheidungen, aber die Zuordnung der „Überfüllung"
auf statisches, die des anderen auf dynamisches Erleben, ist nicht zwingend, vor
allem, wenn sie auf ein ganzes Lebensgefühl bezogen werden und nicht auf Einzel-
erlebnisse; denn es ist doch wohl ausgeschlossen, daß das germanische Lebensgefühl
nur statisch war, wie P. sagt, und nicht ebenso oft dynamisch gewesen wäre. —
Dieses „Konstruktive" soll nur Vorstufe zur „Figur" sein: unter Figur versteht P.
•den „auf dem Grund des Unbewußten von außerordentlichen Energien des Erlebens
«mporgetragenen schöpferischen Impuls im Ausdruck des ihm gemäßen Materials
der Sprache." (S. 149.) Aber Statisches und Dynamisches sind nicht Vorstufen,
sondern Elemente, die sich im Figürlichen verbinden und es durchsetzen können. —
Dazu gehört dann, daß auch das Sprachliche seine Statik und Dynamik für sich hat!
— Unter den „vollfigürlichen" Sprachformen unterscheidet P. Gleichnis (objektives
oder welthaltiges Gleichnis und subjektives oder ichhaltiges Gleichnis) und Be-
seelung, als Hineintragung des Ichs in den Stoff durch Erbilden und Erfühlen.
Darüber kennt er drittens das dichterische „Bild", in dem Gleichnis und Be-
seelung untrennbar verfließen, wie er dies an Hölderlins später Dichtung und
Goethes „seliger Sehnsucht" zeigt. — Man kann statisch, Zustände, und dyna-
misch, Geschehnisse, erleben, aber das Erleben selbst ist auch schon dynamisch;
es ist also das bedingt Dynamiche von einem übergreifend Dynamischen zu
unterscheiden. Das erste ist stofflich und sprachlich, das zweite dichterische Funk-
tion an Beiden. Qualität und Funktion sind nicht koordinierte Gegensätze wie Goethe
und Schiller (11,2), sondern Implikationen: Goethe und Schiller funktionieren beide
an Qualitäten, bloß verschieden. Auch die „Vollfigur", sofern sie nicht mit dem
ganzen Dichtwerk identifiziert wird, bleibt eine Teilgestaltung, die der Betrachtung
nach neuen Komponenten unterliegt. In der Tat, wenn P. diese Vollfiguren in
mythische und magische Metaphern und in Endformen (Schwellformen und Rand-
formen) aufteilt, so sind die Metaphern nach dem Erlebnis betrachtet und die End-
formen nach den Ausdrucksmitteln. Diese sich überschneidenden Zusammenstellungen
lassen mich schon beim ersten Bande nicht froh werden.
*) Ich habe das übrigens schon früher zurückgewiesen, Hölderlin erlebt nur iii
seinen Elegien dual, aber überwiegend so polarisch, daß die Zweiheit in Einheit
.aufgeht.
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«kiektisch; weder kann er behaupten, daß diese Zuordnungen notwendig sind, noch
daß die Kreise der Erlebnisse geschlossen sind. Solche Behauptungen wären ja auch
"vermessen; aber ohne Schlüssigkeit leuchtet der große Aufwand erst recht nicht ein,
denn aus den zufälligen Beispielen, die der Historiker dem Systematiker darreicht,
kann alles Typische ebenso gestützt wie widerlegt werden. Nur dadurch, daß P.
die Systematik der Anlage mit geschichtlichen Komplexen oder individuellen Einzel-
fällen nicht beispielmäßig belegt, sondern in solche auflöst, kann er zu Beschreibungen
der Adäquatheit von Erleben und Sprache kommen, die ihm schließlich am Herzen
liegt. Dieses Dilemma geht durch das ganze Werk.
So wird bereits im ersten Band die „Lautentsprechung" als primitive Sprachform
im Kapitel „Ursprung der Sprache" abgehandelt und die naheliegende Modifikation
zwischen sachlicher Tierlautnachahmung und Lautmalerei in spielendem Sinne
nicht herausgehoben, aber doch wird Lautmalerei auch an Beispielen der neueren
Zeit erwiesen. — Die Zweigliedrigkeit, aus der der Ursprung der grammatischen
Flexion erklärbar erscheint, wird als Urfom der Sprache bezeichnet, während sie
nachher als Dualität des Erlebens etwa bei Hölderlin aufgewiesen wird.*) „Wieder-
holung, Überfüllung des Nominalstils, Sprengung und Verdichtung der Syntax"
sind wertvolle Ausdrucksunterscheidungen, aber die Zuordnung der „Überfüllung"
auf statisches, die des anderen auf dynamisches Erleben, ist nicht zwingend, vor
allem, wenn sie auf ein ganzes Lebensgefühl bezogen werden und nicht auf Einzel-
erlebnisse; denn es ist doch wohl ausgeschlossen, daß das germanische Lebensgefühl
nur statisch war, wie P. sagt, und nicht ebenso oft dynamisch gewesen wäre. —
Dieses „Konstruktive" soll nur Vorstufe zur „Figur" sein: unter Figur versteht P.
•den „auf dem Grund des Unbewußten von außerordentlichen Energien des Erlebens
«mporgetragenen schöpferischen Impuls im Ausdruck des ihm gemäßen Materials
der Sprache." (S. 149.) Aber Statisches und Dynamisches sind nicht Vorstufen,
sondern Elemente, die sich im Figürlichen verbinden und es durchsetzen können. —
Dazu gehört dann, daß auch das Sprachliche seine Statik und Dynamik für sich hat!
— Unter den „vollfigürlichen" Sprachformen unterscheidet P. Gleichnis (objektives
oder welthaltiges Gleichnis und subjektives oder ichhaltiges Gleichnis) und Be-
seelung, als Hineintragung des Ichs in den Stoff durch Erbilden und Erfühlen.
Darüber kennt er drittens das dichterische „Bild", in dem Gleichnis und Be-
seelung untrennbar verfließen, wie er dies an Hölderlins später Dichtung und
Goethes „seliger Sehnsucht" zeigt. — Man kann statisch, Zustände, und dyna-
misch, Geschehnisse, erleben, aber das Erleben selbst ist auch schon dynamisch;
es ist also das bedingt Dynamiche von einem übergreifend Dynamischen zu
unterscheiden. Das erste ist stofflich und sprachlich, das zweite dichterische Funk-
tion an Beiden. Qualität und Funktion sind nicht koordinierte Gegensätze wie Goethe
und Schiller (11,2), sondern Implikationen: Goethe und Schiller funktionieren beide
an Qualitäten, bloß verschieden. Auch die „Vollfigur", sofern sie nicht mit dem
ganzen Dichtwerk identifiziert wird, bleibt eine Teilgestaltung, die der Betrachtung
nach neuen Komponenten unterliegt. In der Tat, wenn P. diese Vollfiguren in
mythische und magische Metaphern und in Endformen (Schwellformen und Rand-
formen) aufteilt, so sind die Metaphern nach dem Erlebnis betrachtet und die End-
formen nach den Ausdrucksmitteln. Diese sich überschneidenden Zusammenstellungen
lassen mich schon beim ersten Bande nicht froh werden.
*) Ich habe das übrigens schon früher zurückgewiesen, Hölderlin erlebt nur iii
seinen Elegien dual, aber überwiegend so polarisch, daß die Zweiheit in Einheit
.aufgeht.