BESPRECHUNGEN
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Diese Aufgabe ist in der Tat nur lösbar, wenn sie von dem innigen Zusammen-
hang zwischen Wagners programmatischen Schriften und dem im Kunstwerk ver-
dichteten Ausdruck angepackt wird, wobei peinlichst vermieden werden muß, mehr
in das Werk hineinzudeutein und -geheimnissen, als der sachliche Befund ergibt
(Valentin weist an mehreren Stellen auf die Arbeit von Rudolf Qrisson „Herrrscher-
dämmerung und Deutschlands Erwachen in Wagners Ring der Nibelungen" [Leipzig
1934] hin und warnt vor „krampfhafter Interpretation einer gesuchten und kleinlichen
Symbolik"). Aber auch die Erfüllung dieser Voraussetzung ist noch nicht hinreichend
für das volle Verständnis der Wagnerschen Sendung; diese enthüllt sich erst dann,
wenn man Wagners Stellung in seiner Zeit ins Auge faßt. Und gerade
in diesem Punkt ergibt sich die grundsätzlich verschiedene Auffassung Valentins
zu vielen seiner Vorgänger, die in Wagner den Exponenten seines Jahrhunderts
sehen, während — nach Valentin — sein Werk ein einziges Bekenntnis gegen sein
Jahrhundert ist. Dem Nachweis dieser Behauptung dient diese kulturphilosophische
Studie des Verfassers, der selbst aus dem Lager der Musikwissenschaft kommt, hier
aber mit anerkennenswertem Verzicht auf „zünftige" Isoliertheit sich an einen viel
umfassenderen Komplex heranwagt. Dies geschieht unter Einsatz eines sicher funda-
mentierten Wissens um die historischen Zusammenhänge und eines klaren Blickes für
die den Zeitraum beherrschenden Ideen (Demokratie, Plutokratie, Sozialismus, Mate-
rialismus usw.), mit deren kämpferischen Auseinandersetzung Wagners Leben und
Wirken bis zum Bersten angefüllt ist. Nur eine so ungeheuer vitale Persönlichkeit
wie die des Bayreuther Meisters ist dem Ansturm der herabzerrenden und nivellie-
renden Mächte, die sich immer wieder drohend gegen ihn erhoben, gewachsen ge-
wesen: „Nur Wagner blieb am Steuer; ,es vertraute einer auf deutsches Wesen', weil
er das Ziel vor sich sah" (S. 27).
Dieses Ziel war von Anfang an mehr als ein künstlerisches; es war welt-
anschaulich-politisch bestimmt und ging auf nichts Geringeres aus als
eine vollständige Erneuerung unseres Lebens. Sehr fein hebt Valentin an einer Stelle
den Gegensatz und doch wiederum die tiefere Übereinstimmung mit Schiller
hervor, der die Schaubühne zur moralischen Anstalt erhob und von der Schaffung
einer Nationalbühne das Entstehen der Nation erwartete. „Wagner sagt es umge-
kehrt: wenn wir eine Nation wären, hätten wir auch eine Nationalbühne" (S. 223).
Zwischen Schillers idealistischem Optimismus und Wagners gläubigem Pessimismus
— wie man seine Grundhaltung vielleicht bezeichnen kann — besteht kein grundsätz-
licher Widerspruch hinsichtlich der Sache, insofern, als die Beziehungen zwischen
Kunst und Politik stets auf einer lebendigen Wechselwirkung beruhen, wohl aber
besteht eine bedeutsame Abstufung hinsichtlich der Wahl der einzuschreitenden Wege
und der einzusetzenden Mittel. Das deutsche Volk mußte erst bis an den Rand des
Abgrundes gelangen, mußte erst das von C a r 1 y 1 e prophetisch vorausgesehene
„Ereignis der ausbrechenden Selbstverbrennung" am eigenen Leibe spüren, um für
eine neue Ordnung reif zu werden. Das 1871 proklamierte zweite Reich hat diese noch
nicht herbeiführen können — Wagners tiefe Enttäuschung spiegelt sich in seinen
Spätschriften in erschütternder Weise, sie sind eine einzige Anklage — weil es von
oben kam, noch nicht aus der Tiefe einer wahren Volks-Bewegung herauswuchs: der
Zusammenbruch 1918 war nur das letzte Glied in dieser Kette von Mißverständnissen
und Halbheiten, die schmerzliche Quittung auf ein steuerloses Lavieren zwischen
partikularistischen und parteiischen Sonderbestrebungen — kennzeichnend dafür
mag etwa auch sein, daß sich der vom Judentum genährte Wagner-Haß immer offener
und unverhohlener hervorwagen durfte (man denke an Emil Ludwigs berüchtigtes
Wagner-Buch!). Erst die jüngste Entwicklung unseres politischen Denkens hat den
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Diese Aufgabe ist in der Tat nur lösbar, wenn sie von dem innigen Zusammen-
hang zwischen Wagners programmatischen Schriften und dem im Kunstwerk ver-
dichteten Ausdruck angepackt wird, wobei peinlichst vermieden werden muß, mehr
in das Werk hineinzudeutein und -geheimnissen, als der sachliche Befund ergibt
(Valentin weist an mehreren Stellen auf die Arbeit von Rudolf Qrisson „Herrrscher-
dämmerung und Deutschlands Erwachen in Wagners Ring der Nibelungen" [Leipzig
1934] hin und warnt vor „krampfhafter Interpretation einer gesuchten und kleinlichen
Symbolik"). Aber auch die Erfüllung dieser Voraussetzung ist noch nicht hinreichend
für das volle Verständnis der Wagnerschen Sendung; diese enthüllt sich erst dann,
wenn man Wagners Stellung in seiner Zeit ins Auge faßt. Und gerade
in diesem Punkt ergibt sich die grundsätzlich verschiedene Auffassung Valentins
zu vielen seiner Vorgänger, die in Wagner den Exponenten seines Jahrhunderts
sehen, während — nach Valentin — sein Werk ein einziges Bekenntnis gegen sein
Jahrhundert ist. Dem Nachweis dieser Behauptung dient diese kulturphilosophische
Studie des Verfassers, der selbst aus dem Lager der Musikwissenschaft kommt, hier
aber mit anerkennenswertem Verzicht auf „zünftige" Isoliertheit sich an einen viel
umfassenderen Komplex heranwagt. Dies geschieht unter Einsatz eines sicher funda-
mentierten Wissens um die historischen Zusammenhänge und eines klaren Blickes für
die den Zeitraum beherrschenden Ideen (Demokratie, Plutokratie, Sozialismus, Mate-
rialismus usw.), mit deren kämpferischen Auseinandersetzung Wagners Leben und
Wirken bis zum Bersten angefüllt ist. Nur eine so ungeheuer vitale Persönlichkeit
wie die des Bayreuther Meisters ist dem Ansturm der herabzerrenden und nivellie-
renden Mächte, die sich immer wieder drohend gegen ihn erhoben, gewachsen ge-
wesen: „Nur Wagner blieb am Steuer; ,es vertraute einer auf deutsches Wesen', weil
er das Ziel vor sich sah" (S. 27).
Dieses Ziel war von Anfang an mehr als ein künstlerisches; es war welt-
anschaulich-politisch bestimmt und ging auf nichts Geringeres aus als
eine vollständige Erneuerung unseres Lebens. Sehr fein hebt Valentin an einer Stelle
den Gegensatz und doch wiederum die tiefere Übereinstimmung mit Schiller
hervor, der die Schaubühne zur moralischen Anstalt erhob und von der Schaffung
einer Nationalbühne das Entstehen der Nation erwartete. „Wagner sagt es umge-
kehrt: wenn wir eine Nation wären, hätten wir auch eine Nationalbühne" (S. 223).
Zwischen Schillers idealistischem Optimismus und Wagners gläubigem Pessimismus
— wie man seine Grundhaltung vielleicht bezeichnen kann — besteht kein grundsätz-
licher Widerspruch hinsichtlich der Sache, insofern, als die Beziehungen zwischen
Kunst und Politik stets auf einer lebendigen Wechselwirkung beruhen, wohl aber
besteht eine bedeutsame Abstufung hinsichtlich der Wahl der einzuschreitenden Wege
und der einzusetzenden Mittel. Das deutsche Volk mußte erst bis an den Rand des
Abgrundes gelangen, mußte erst das von C a r 1 y 1 e prophetisch vorausgesehene
„Ereignis der ausbrechenden Selbstverbrennung" am eigenen Leibe spüren, um für
eine neue Ordnung reif zu werden. Das 1871 proklamierte zweite Reich hat diese noch
nicht herbeiführen können — Wagners tiefe Enttäuschung spiegelt sich in seinen
Spätschriften in erschütternder Weise, sie sind eine einzige Anklage — weil es von
oben kam, noch nicht aus der Tiefe einer wahren Volks-Bewegung herauswuchs: der
Zusammenbruch 1918 war nur das letzte Glied in dieser Kette von Mißverständnissen
und Halbheiten, die schmerzliche Quittung auf ein steuerloses Lavieren zwischen
partikularistischen und parteiischen Sonderbestrebungen — kennzeichnend dafür
mag etwa auch sein, daß sich der vom Judentum genährte Wagner-Haß immer offener
und unverhohlener hervorwagen durfte (man denke an Emil Ludwigs berüchtigtes
Wagner-Buch!). Erst die jüngste Entwicklung unseres politischen Denkens hat den