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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Kanthack-Heufelder, Katharina: Zum Wesen des Romans
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0224
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KATHARINA KANTHACK-HEUFELDER

Wegen dieser Leichtigkeit, mit der der Roman heute tradiert werden
kann, fallen nur zu oft die Hemmungen fort, Minderwertiges zu propa-
gieren. Müßte jedes dieser Bücher noch heute mit der Hand abgeschrie-
ben werden, so würde man sich hüten, anderes als Erlesenes weiter-
zugeben.

Der Verbreitungsmöglichkeit kommt das Bedürfnis entgegen, das
nicht nur mit dem Wunsch nach echt künstlerischem Genuß zusammen-
hängt, sondern auch mit dem Unterhaltungstrieb einer sehr breiten
Menge, zumal in Ländern, die kein Analphabetentum kennen.

Dieses Bedürfnis einer für das große ästhetische Erlebnis keines-
wegs immer qualifizierten Masse hat eine Erscheinung entstehen lassen,
die sich an die Kunstsphäre des Epischen anlehnt, den U n t e r h a 1 -
tungsroman.

Der Unterhaltungsroman stellt eine eigentümliche Gattung mehr
oder weniger kunstnahen Phantasieschaffens dar. Man könnte sich ge-
neigt fühlen, dabei in übertragenem Sinne von epischem Kunsthandwerk
zu sprechen, müßte allerdings weiter zum Ausdruck bringen, daß diese
Bezeichnung für manche Erzeugnisse der betreffenden Gattung zu wert-
haltig, für andere aber wieder zu degradierend wäre.

Wenn man das gesamte Gebiet des Romanschaffens überhaupt über-
blickt, so besteht hier jedenfalls eine Hierarchie über- und untergeord-
neter Leistungen, eine Skala mit außerordentlich zahlreichen Absätzen.
Rücken wir nun die Romane, die als Kunstwerke in eminentem Sinne
anzusprechen sind, an die Spitze dieses Stufenreiches, und ordnen wir
der Basis jene Erzeugnisse zu, die primitiven Instinkten in unerfreu-
licher Weise entgegenkommen (Abenteurerbücher und „Liebesromane"
bestimmter Färbung), so muß, wenn anders die Sphäre der Kunst eine
autonome und unantastbare ist, irgendwo auf dieser Treppe eine Marke
anzubringen sein, die die Gebiete der Kunst und der Nichtkunst schei-
det. Das wirklich große Kunstwerk müßte sich als solches klar und
deutlich abzeichnen gegen alle Halbheiten und Unzulänglichkeiten.
Denn das überragende Werk ist Entelechie, individuelle Ganzheit und
als solche von einer Geschlossenheit, die von unvergleichlicher Ein-
druckskraft ist. Andererseits bedarf es eines besonderen, glühenden und
begeisterten Blickes, um eine solche Schöpfung in ihrer einzigartigen
inneren Gesetzlichkeit angemessen zu erfassen.

Es müßte also eine ganz andere Dimension des Erlebens sein, mit
der einmal der hochkünstlerische Roman aufgenommen wird und mit
der ein anderes Mal der nur „unterhaltende" Roman genossen wird.
Und das Bewußtsein der strengen Scheidungen, die hier vollzogen wer-
den müssen, müßte immer lebendig und aktuell sein.
 
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