Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

DOI Artikel:
Kanthack-Heufelder, Katharina: Zum Wesen des Romans
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0253
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZUM WESEN DES ROMANS

239

Daß auch alle erkenntnistheoretischen Bedenken einem solchen Ver-
fahren gegenüber schweigen müssen, haben wir bereits aufgewiesen.
Und vielleicht ist es doch diese Tatsache, auf der die künstlerische
Bedeutung des behaviouristischen Verfahrens im allertiefsten Grunde
beruht. Wir können es dabei ja beglückt hinnehmen, daß aller Zauber
und alle Buntheit des äußeren Geschehens vor uns ausgebreitet wird,
und dürfen die Hintergründe alles Tuns der Menschen so zart erahnen
und ertasten, wie man einen Traum träumen kann, dessen Bilder als ein
Strom von Symbolen dahinfließen.

Wir haben gewisse formale Prinzipien der Romankunst aufzudecken
versucht und uns zu zeigen bemüht, daß für ihre Anwendung geheime
und tiefgründige Gesetze bestehen, mögen sie auch oft nur ahnungsvoll
erfaßbar sein. Jede künstlerische Norm bleibt ja, wenn sie begrifflich
gefaßt werden soll, immer noch von jenem „sfumato" umgeben, das mit
der Irrationalität der ganzen Sphäre zusammenhängt.

Wir konnten weiter zeigen, daß sich von diesen Prinzipien und
Methoden her Fäden zu einem ganz anderen Gebiet des Kulturlebens,
zu der Wissenschaft Psychologie nämlich, ziehen lassen.

Wenn wir nun aber noch ein letztes Mal betonen, daß sich dieser
Wissenschaft außerordentliche Möglichkeiten von der Region der Prosa-
epik her erschließen, so möchten wir uns zum Schluß unserer Ausfüh-
rungen dagegen verwehren, daß man uns etwa eine Versündigung am
heiligen Geist der Kunst vorwerfen könnte. Der reine Genuß an dem
Kunstwerk als solchem, in seiner unzerrissenen Einheit, greift natürlich
auch unserer Meinung nach in eine ganz andere Schicht unserer Seele
hinein als die Tendenz zur wissenschaftlichen Zerlegung und Syste-
matisierung.

Und wenn wir auch die letzteren Funktionen dem großen Roman-
werk gegenüber für anwendbar halten, so müssen wir die Schöpfer
jener Werke bitten, uns zu rechtfertigen und uns Billigung zuzunicken
darum, weil sie eben nicht nur so grandiose Künstler,
sondern auch so einzigartige Wissende gewesen sind.
 
Annotationen