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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Kast, Emil: Josef Nadlers Literaturgeschichte des deutschen Volkes: eine Beschreibung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0263
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BEMERKUNGEN

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und stilvolle Haltung erscheint dies Geschlecht zwischen 1814 und 1848 nur dar-
um, weil es an, z/wei Zuküniten auf einmal arbeitet und die Urbilder beider
Deutschland in einem Antlitz trägt, jener zwei Deutschland, die einander wech-
selweise ablösten und verschlangen: von 1813 und 1870 das eine, von 1848 und
1918 das andere. Eine Mutter solcher Zwillinge kann nicht guter Hoffnung heißen"
(III, 175). Wie wird kurz und schlagend Adalbert von Keller mit der Bibliothek
des Stuttgarter Literarischen Vereins gewürdigt (III, 179). — Von Hebel heißt es
wahrhaft umfassend, er sei der erste Schöpfer einer mundartlichen Kunstform in
Stoff, in Gehalt, in der Sprache, indem er stammestümlichen Gehalt stammestümlich be-
lebte und stammestümlich beredt machte (111,262). Wundervoll ist die Darstellung Grill-
parzers und vor allem die Deutung seines Armen Spielmanns, III, 361. — Von Riehl wird
gesagt, er strebte zum Ganze« und habe doch alles Einzelne fest in der Hand (III, 374);
das möchte man auf Nadler nicht weniger angewendet wissen als mutatis mutan-
dis Wilhelm Scherers berufenes Wort auf Docens Sammlertätigkeit (11,453)! —
Auf Grund stammestümlicher Gemeinschaft, aber über sie hinaus sich dem ineffa-
bile des Individuums erstaunlich nähernd, vermag Nadler alle österreichische Kunst
und Dichtung nach Werk und Persönlichkeit ganz besonders zu erschließen:
Mittelalter, Barock, Raimund, Nestroy, Grillparzer, Schubert, Waldmüller, Stifter
und das ganze neunzehnte Jahrhundert; etwa 1,636; 11,484,480; 111,333, 334 und
in jedem Band vielerorts.

Sicherlich überraschend ist die Würdigung Wöllners, der die politischen Histo-
riker nachgehen werden 11,331; sehr positiv die Georg Forsters 11,408. — Die
allerdings sehr verständliche, glühende Herderverehrung Nadlers, die geradezu
als nährende Atmosphäre das Werk umwebt, paart sich mit deutlicher Goethe-
kühle, die freilich großenteils auf das Schuldkonto des Goethepfaffentums zurück-
zuführen sein mag. Darüber gibt es eine Fülle an Belegen: 1,664; 11,77; 11,248,
264, 324/25, 567/68, Rettung des Schmidt—Werneuchen 111,8, 13/4, 17 ff., bis 111,29
usw. Wesentlich ist die Stammesantithese Goethe—Schiller II, 320. Einwände liegen
natürlich im einzelnen zur Hand, niemand hat Anlaß, sie zu unterdrücken, aber
sie wirken nicht gegen das Ganze. Scheffel scheint zum Beispiel ganz erheblich
überschätzt III, 539—42. Nietzsche, über den wohl im vierten Band ausführlicher
gehandelt werden wird, scheint 111,558 ungerecht schnell abgetan.

Gründlich und überzeugend ist die Behandlung des jüdischen Literatentums
und seiner Einflüsse angelegt und durchgeführt, schon 1,700, dann II, 94 ff.,
571 ff., vorzüglich III, 6, 39, 87, 95, wo aber Arnold Rüge hart an Heine und Marx
herangerückt erscheint. Sehr interessant ersteht Schopenhauers antijüdisches Wir-
ken III, 143, bemerkenswert der Hinweis auf den Umgang jüdischen Geheimwissens
unter den einfachen Leuten im Osten III, 160; Laube und das Jüdische (III, 152).
In Berthold Auerbach versucht der Jude, sich in eine Landschaft, und zwar die
alamannische des Schwarzwalds, einzufügen (III, 262). Aufschlußreich ist die Be-
ziehung des Judentums zum österreichisch-biedermeierlichen Weltschmerz III,
337 ff., die Bedeutung des Judentums bei Grillparzer 111,358, in Hamburg III,
476 ff., in Hannover 111,489; schließlich Jüdisches bei der Gründung der Zeit-
schrift Kladderadatsch III, 531 ff.

Da bisher nur ein erster Band der Franz Schultzschen meisterlichen Darstel-
lung „Klassik und Romantik der Deutschen" (Stuttgart 1935) veröffentlicht ward,
so läßt sich ein Vergleich der Methoden wie ihrer Ergebnisse zwischen Schultz
und Nadler gerade an dieser Doppelgestalt des einen deutschen Geistes noch nicht
durchführen. Gleichwohl bin ich schon jetzt überzeugt, daß sich aus solchem Ver-
fahren vergleichenden Nebeneinanderstellens literaturgeschichtlicher Gestaltungs-
möglichkeiten der deutschen geistigen und seelischen Überlieferung nützliche Ein-
 
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