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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Kluge, Otto: Der Humanismus als ästhetische Idee
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0130
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OTTO KLUGE

ner uns nicht beschweren; nur die zusammengeschrumpften und aus-
gedienten alten Vetteln würden sich neidisch zusammenrotten und pro-
testieren. — Wer die Schönheit nicht lobt, der ist an Sinn und Körper
blind; die Augen, die er nicht braucht, müßte man ihm ausstechen. —
Die Schönheit der Frauen ist ein Schmuck und keine Schande; denn sonst
hätte sich die Natur nicht solche Mühe gegeben"30). Man merkt aus den
Worten die Polemik gegen die mittelalterliche Lehre von dem hohen Wert
der Enthaltsamkeit. Valla versteigt sich hierin zu dem Paradoxon, es
gebe nichts Unerträglicheres als die Jungfräulichkeit. Die griechischen
Hetären hätten der Welt mehr genützt als die christlichen Nonnen. Der
Name „Ehe" sei ein „perversum nomen", Ehe und Buhlschaft dasselbe,
die „Schändung" der Nonnen kein Verbrechen usw. Die Wirkung dieser
mit einer gewissen Knalligkeit vorgetragenen Zuspitzungen mußte von
unerhörter Schlagkraft sein. Eine erheblich schwächere diktatorische
Sprache führt er in seinen Angriffen gegen die mönchische Völlerei und
zeigt dadurch zweifelsfrei, daß er weniger ein Reformator und Sitten-
prediger als ein Freiheitsapostel sein will. Aber von der Lüsternheit und
Obszönität Panormitas ist Valla doch weit entfernt.

Er, der schärfste kritische Kopf des Jahrhunderts, führt neben den
spitzen Konturen seiner Pointen viel weiche Linien eines mehr akademi-
schen Raisonnements, so bei der klugen Unterscheidung des natürlich
nackten und des ausgezogenen Körpers, in jenem wohlgerundeten offi-
ziösen Ton, der sich in jahrelangen Stilübungen herausgebildet hat,
hier und da von idealistischen und sentimentalen Tönen romanischer
Sprachmelodie begleitet. Alles in heiteres Licht getaucht — nichts von
dem sozusagen sittlichen Ernst und pathetischen Gewicht eines finsteren
Amoralisten. „Was ist herrlicher, ergötzlicher, liebenswerter als ein schö-
nes Antlitz, so daß selbst ein Blick in den Himmel nicht lieblicher sein
kann!" Diese halb aggressive halb apologetische Rhetorik segelt unter
der Flagge der Schönheit, der Ästhetik der Lebensformen. Ethik und
Ästhetik haben bei den italienischen Humanisten gar keine Relationen
zueinander; sie können über den Widerspruch hinwegkommen, weil sie
von Natur aus von ihm befreit sind.

Naturgemäß fallen gegenüber dieser Souveränität der Sinn-
lichkeit alle tragischen Konflikte, die aus dem Irrgang der Sinne, aus
dem Gegensatz des sittlichen Sollens und naturhaften Wollens für den
Menschen entstehen. Es fallen der Unterschied von Ehe und Konkubinat,
der Sinn des Lebensopfers für den nächsten, etwa im Krieg, die Pflicht

s«) L. Valla, De voluptate. Opera Basil. 1540. S. 915. 924. O. Kluge, Umo-
rismo del Rinascimento. Vortrag Florenz Dez. 1939. Oiorn. stor. della Lett. Ital.
CXIV. 1940.
 
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