Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

DOI Artikel:
Beissel, Stephan: Das Evangelienbuch des Erzbischöflichen Priesterseminars zu Köln
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0020

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1-7.

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

18

8 Sonntage nach Michael zählt dann weiter, wie das
schöne Sakramentar des Mainzer Seminars, auch das
Sakramentar des Mainzer Domes in klein Quart.

Diese Reihe der Handschriften des X. und XI.
Jahrh., welche die Pfingstsonntage zum Theil „nach
Michael" zählen, wird sich durch weitere Forschungen
noch bedeutend vermehren lassen. Wahrscheinlich be-
ginnt sie mit italienischen, vielleicht mit unteritalienischen
Handschriften. Wie man in Köln dazu gekommen sei,
dieser Zählung zu folgen, ist noch klar zu stellen.
Allgemein war sie dort bei weitem nicht. Es würde
zu weit führen, hier auch ohne direkten Nutzen sein,
all die alten Kölner Handschriften aufzuzählen, welche,
dem karolingischen System folgend, an der Zählung
nach Cyprian festhalten. Erwähnt sei als wichtigstes
Beispiel das im Auftrage des Kanonikus Hillin im
XI. Jahrh. von den Gebrüdern Purchardus und Chuon-
radus für den Kölner Dom geschriebene Evangeliar
(Dombibliothek n. 12). Statt jener Sonntage nach
Michael zählt es, dem alten karolingischen Formular
folgend, (8) Sonntage nach Cyprian. Das schöne, aus
Limburg stammende Evangeliar des Kölner Dom-
schatzes n. 21b saec. XI. hat 7 Sonntage nach Cy-
prian. 18)

Später wurde die durchgehende Zählung „nach
Pfingsten" immer mehr beliebt. So rinden wir z. B.
im Sakramentar n. 137 der Kölner Dombibliothek aus
der Zeit vor 896 24 Sonntage ,,nach Pfingsten",
ebensoviele im Epistelbuch n. 143 aus der Zeit um
990 daselbst, 25 Sonntage aber im Evangelienbuche
n. 144 aus derselben Zeit ebendort, weiterhin im
Missale der Dombibliothek n. 157, das aus dem XII.
Jahrh. und wohl aus Lüttich stammt, 23 Sonntage
„nach Pfingsten", im Evangelienbuche des Stadtarchivs
N. 312 aus St. Gereon (?) saec. XI. 25 Sonntage „nach
Pfingsten", im neuerdings erworbenen Evangelienbuch
aus St. Pantaleon und aus dem XI. Jahrh. daselbst
ebenfalls 25 Sonntage „nach Pfingsten".

Wir stehen demnach vor der auffallenden
Thatsache, dafs in demselben XI. Jahrh
die liturgischen Bücher der Kölner Kirchen
dreierlei Zählung der Sonntage bieten. Wie
diese Handschriften verschiedene Formulare für
dte Perikopenverzeichnisse haben, zeigen sie
auch verschiedenartigen Stil in den Malereien.
Neben der alten Schule wächst eine neue auf.
Die alte baut noch weiter auf zwei frühere, zu-
erst auf die von irischen und schottischen
Mönchen, den Freunden der hh. Willibrord und
Bonifatius, mitgebrachte und gepflegte, dann
zweitens auf die von Karl d. G. und seinen
Schützlingen aus Italien eingeführte, antikisi-

u) Wattenbach 1. c. p. 5, 97. Vogt „Eine deutsche
Malerschule um die Wende des I.Jahrtausends." »West-
deutsche Zeitschrift«, Ergänzungsheft VII S. 134 f.
und 145 f. Die Provenienz dieser Handschriften werden
wir in einem folgenden Heft besprechen.

rende Art. Die neu eintretende Schule steht zu
Reichenau, zu Bamberg und Regensburg, zu
Echternach und andern noch nicht hinlänglich
festgestellten Centren in Verwandtschaft. Ihr
gehören nicht nur unter anderm die beiden
Evangeliare des Domes n. 12 und n. 218 an,
sondern auch die hier beschriebene Hand-
schrift des Seminars ist von ihr stark beeinflufst.
Da nun in jenen beiden Codices die alte
karolingische Zählung der Sonntage nach Cyprian
festgehalten ist, dagegen im Codex des Semi-
nars die Zählung nach Michael sich findet, er-
hellt klar, dafs weder die Aehnlichkeit noch
die Verschiedenheit des Schriftcharakters oder
der Texte oder der Comesverzeichnisse sichere
Hülfsmittel sind, um Schlüsse auf die Herkunft
der Malereien zu machen. Es bleibt mög-
lich, dafs letztere nicht an demselben Ort,
wenigstens nicht in demselben Kloster ent-
standen, worin die Schreiber wohnten und
wirkten. Es kann auch, z. B. in Köln, sehr
plötzlich in diesem oder in jenem „Kloster" für
den Text oder für den Comes oder für die Male-
reien eine neue Richtung Oberhand gewonnen
haben, welche in künstlerischer oder in litur-
gischer Hinsicht oder in beidem andere Bahnen
einschlug. Was beim Beginne des Kölner Domes
im XIII. Jahrh. geschah, kann in analoger Art
früher sich ereignet haben: eine plötzliche 1m-
portation fremder Formen. Wir werden hin-
sichtlich der „Malerschulen des Mittel-
alters" erst dann zu gröfserer Klarheit kommen,
wenn durch sorgfältige Behandlung einer be-
deutendem Anzahl wichtiger Handschriften das
Vergleichungsmaterial sorgfältiger gesichtet und
klassificirt ist. Zur Lösung dieser schwierigen
Aufgabe einen Beitrag zu liefern, war der Zweck
dieses Aufsatzes. Er beweist hoffentlich die
Nothwendigkeit gründlicherer Erforschung der
Geschichte der alten Liturgie auch zur Er-
langung sicherer Resultate für die Kunstge-
schichte. Schon öfter wurde bemerkt, dafs
diese Geschichte nur dann zu erfreulichen Ergeb-
nissen führt, wenn viele ältere Sakramentare,
Evangeliare und Kaiendarien kritisch gesichtet
und theilweise edirt werden. Hoffentlich er-
scheint bald das von Ebner vorbereitete Ver-
zeichnifs wichtiger deutscher liturgischer Hand-
schriften, welches einen bedeutenden Schritt
vorwärts thun wird. Steph. Beisse 1.
 
Annotationen