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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Semper, Hans: Ueber eine besondere Gruppe elfenbeinerner Klappaltärchen des XIV. Jahrh. , [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0080

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119

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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bild derjenigen auf dem andern ist. Auf dem
Londoner Altärchen steht Maria nach rechts
gewendet, hält in der Rechten vor ihrem Schoofs
ein Buch, und erhebt die Linke, voll Ver-
wunderung die Botschaft des Engels hörend,
der rechts über ihr schwebt und eine Rolle
entfaltet. Auf dem Pariser Altärchen ist Alles
umgekehrt und rechts in links verwandelt, sonst
in den Motiven der Bewegung Alles gleich;
kleine Verschiedenheiten weist der Faltenwurf
auf. Auch steht auf dem Pariser Altärchen vor
Maria noch eine Vase mit einem Lilienstengel.

Die Heimsuchung ist auf beiden Altärchen
völlig gleich; beide Frauen in lange, falten-
reiche Gewänder gehüllt, stehen einander gegen-
über, Elisabeth legt der Maria die rechte
Hand a uf den Leib, diese hält in der linken
ein Buch. Beide haben den Mantel über den
Kopf gezogen.

In der Geburt Christi, welche auf beiden
Altärchen die oberen Abtheilungen der beiden
rechten Flügel ausfüllt, ist Joseph, Maria gegen-
übersitzend und das Wickelkind in beiden
Händen haltend, auf beiden Altärchen nahezu
gleich behandelt, selbst bis auf den Faltenwurf
der Gewandungen; nur hält Joseph auf dem
Londoner Altärchen das Kind mit der Rechten
am Leib, mit der Linken am Fufsende; auf
dem Pariser Altärchen umgekehrt.

Bei Maria zeigen beide Altärchen etwas
mehr Verschiedenheit unter einander; in beiden
Fällen liegt sie halb aufgerichtet auf einem
schräg das Bild durchziehenden Betttuch; auf
dem Londoner Altärchen streckt sie aber beide
Hände dem Kind entgegen, um es wieder in
Empfang zu nehmen; auf dem Pariser Altärchen
dagegen stützt sie den linken Arm, auf dem
das Haupt ruht, abgewendet auf ihr Lager, wäh-
rend sie die Rechte nach dem Kinde ausstreckt.

Eigenthümlich ist auf beiden Dar-
stellungen die bogenförmige Mulde, aus
der die Köpfe von Ochs und Esel, ein-
ander zugewandt, hervorragen; beim Pa-
riser Altärchen ist diese Mulde überdies noch
von einem, oben und unten geschweift aus-
ladenden Stande getragen, so dafs das Ganze
das Aussehen eines Bechers hat. Diese son-
derbare, andeutende Darstellung der
Krippe findet sich auf allen Elfenbein-
schnitzereien derselben Gattung, mit
wenig Veränderungen, und ist ein Haupt-
merkmal derselben.

In der untern Reihe zeigt die Anbetung
der Könige auf der linken Seite beider Al-
tärchen eine durchaus übereinstimmende Kom-
position: im linken Feld steht der jugendliche
König, in der vom Mantel verhüllten Linken
eine Büchse haltend, mit der Rechten seinen
Mantel. zurückschlagend; beide tragen unter
dem Mantel eine an der Hüfte geschnürte lange
Tunica, stehen in Dreiviertelvorderansicht; ihr
rundliches Antlitz ist von gewelltem, langem
Haar eingerahmt; das Haupt bedeckt eine Krone.
Sie sind wie aus einer Form gegossen.

Dieselbe Uebereinstimmung herrscht auch
zwischen den beiden vorderen Königen auf
jedem der Altärchen. Der eine mit länglichem
Gesicht, kahler Stirne, in langem Gewände,
kniet und hält mit der Linken auf dem Schoofs
seine Krone, während er mit der Rechten eine
Büchse emporreicht. Hinter ihm steht der dritte
König, sich zum Ersten (jugendlichen) um-
wendend und mit der Rechten emporzeigend.
Der Stern ist in beiden Fällen nicht angegeben.

Dagegen kommen in der letzten Szene, der
Darstellung im Tempel, wieder einige,
jedoch unwesentliche Verschiedenheiten zwischen
beiden Altärchen vor. Auf dem Londoner Al-
tärchen zeigt das eine Feld die Madonna an-
muthig schreitend und das mit langem Hemd
bekleidete Kind auf den Altar hinstellend,
während auf dem andern Feld Simeon mit ver-
hüllten, emporgehobenen Armen ehrfurchtsvoll
dem Kinde entgegenschreitet; auf dem Pariser
Altärchen steht in dem einen Felde Maria, das
Kind in den Armen tragend; im zweiten Feld
sehen wir Simeon, ähnlich bewegt, wie auf dem
Londoner Altärchen, doch ist das vorschreitende
Bein desselben durch den Altar verdeckt, der
vor ihm steht (statt wie auf dem Londoner
Altärchen vor Maria).

Beide Altärchen waren polychromirt, wenn
auch Farben und Vergoldung zum Theil ver-
blichen sind.3)

Dafs wir also bei der fast völligen Ueber-
einstimmung im Bau und in der architektoni-
schen Gliederung, sowie in der Vertheilung,
Komposition und Stilisirung der figuralen Dar-
stellungen dieser beiden Marienaltärchen es mit
den Erzeugnissen einer Werkstatt zu thun
haben, kann wohl kein Zweifel sein.

3) Näheres hierüber bei Schnütgen »Zeitschrift
für christl. Kunst» (1896) Sp. 126 und Molini er
»Catalogue des Ivoires« p. 163.
 
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