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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Semper, Hans: Ueber eine besondere Gruppe elfenbeinerer Klappaltärchen des XIV. Jahrh., [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0094

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141

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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legt, während er sonst mit ihr den Mantel-
saum hält. — Auch die Darstellung im
Tempel rechts unten schliefst sich dem üb-
lichen Typus (diesmal ohne Joseph) an, wie
wir ihn z. B. auf dem von Schnütgen veröffent-
lichten Altärchen sowie auf dem im Louvre
(Molinier n. 66) finden.

Es ist nach Allem daher kein Zweifel, dafs
auch das Altärchen des Fürsten von Liechten-
stein zu der nämlichen Richtung, wie die vor-
her genannten Altärchen gehört, wozu auch die
einfache früh-gothische Architektur, mit Aus-
nahme der Profilirung des Baldachingiebels
stimmt, die, wie bemerkt, wahrscheinlich von
einer Restaurirung herrührt.

Dagegen ist der an diesem erhaltene läng-
lichviereckige Sockel mit der einfachen Profili-
rung durch Schmiegen wieder ganz entsprechend
jenem an dem von Schnütgen veröffentlichten
Altar im Kensingtonmuseum.

So weit meine Aufzeichnungen reichen, be-
findet sich ein dem letztgenannten ganz gleiches
Altärchen mit Resten von Vergoldung und
Polychromirung im kunsthistorischen Mu-
seum zu Wien (Saal XVII. Vitrine III n. 8),
welches im Katalog derselben,7) wohl wegen
des Kernes, als von Holz und als italienische
Arbeit bezeichnet wird. Ferner soll auch das
Krakauer Hausaltärchen, abgebildet bei
Hefner von Alteneck, (Trachten, Geräthschaften
und Kunstwerke. 1861. Tafel 169) vollkommen
diesen beiden Kunstwerken gleich sein.8)

Wir haben an allen bisher angeführten Werken
trotz gewisser Verschiedenheiten in den Typen,
sowie in den Einzelnheiten der Formen und
Kompositionen und trotz der unleugbaren Ver-
schiedenheiten im Stil und in der Güte der
Ausführung, doch gleichzeitig sowohl in der
Architektur wie in der Anordnung und Ikono-
graphie der darauf dargestellten Figuren und
Vorgänge so viele schlagende Uebereinslim-
mungen gefunden, dafs ein engerer genetischer
Zusammenhang zwischen denselben nicht ge-
leugnet werden kann. Wir haben es hier also
mit den Erzeugnissen einer streng abgegrenzten
lokalen Richtung, Schule oder besser vielleicht
industriellen Unternehmung zu thun, welche

7) Uebersicht der kunsthistorischen Sammlungen
des Allerh. Kaiserhauses p. 185.

8) Nach dem Text zur obengenannten Publikation
des Mährischen Gewerbevereins, p. 12.

freilich zugleich sowohl geschicktere wie weniger
geübte Hände beschäftigte und wohl auch inner-
halb eines längeren Zeitraums, nehmen wir an
von etwa dreifsig Jahren, gewohnheits- und
überlieferungsmäfsig nach denselben Formen-
schablonen und Vorzeichnungen fortarbeitete,
wobei kleine Variationen der Individualität der
betheiligten Kräfte gestattet und wesentlich
auch von dem Marktpreise bestimmt waren,
welche die einzelnen Artikel erhalten sollten,
um sowohl höheren wie bescheideneren An-
sprüchen der Käufer gerecht zu werden.

Es bleiben nun die Fragen zu erörtern übrig,
in welche Zeit und in welches Land der
kunstindustrielle Betrieb zu verlegen sei, welcher
der Erzeugung dieser Altärchen zugewendet war.
Beide Fragen hängen eng zusammen, indem der
Versuch, sie zu beantworten, uns nöthigt, uns
unter anderen, durch Zeit und Ort bestimmten
Werken der Skulptur und architektonischen
Dekoration umzusehen, welche Vergleichspunkte
bieten, und danach festzustellen, in welcher
Epoche und in welchem Lande formal,
stilistisch und ikonographisch die An-
knüpfungspunkte und Voraussetzungen, das
milieu der besprochenen Kunstwerke sich
finden.

Diese Erörterung dürfte um so weniger über-
flüssig sein, als, wie wir gesehen haben, unter
den Schriftstellern, die sich bisher mit einzelnen
dieser Werke beschäftigt haben, zwei Mei-
nungen über das Ursprungsland dieser
Altärchen sich gegenüber stehen, wäh-
rend bezüglich der Epoche, der sie ange-
hören, weniger Verschiedenheiten der Ansichten
herrschen.

Während Schnütgen, Molinier und Andere
diesen Arbeiten französischen Ursprung
zuschreiben, bezeichnen Bock das Altärchen zu
Halberstadt, Labarte dasjenige der Samm-
lung Debruge-Dume"nil (später Webb), die
Verfasser des Textes zur Publikation der kunst-
gewerblichen Ausstellung des mährischen Ge-
werbemuseums 1884—1885, sowie der Ueber-
sicht der kunsthistorischen Sammlungen des
Allerh. Kaiserhauses die Altärchen des Fürsten
von Liechtenstein, sowie des kunst-
historischen Museums in Wien als ita-
lienische Arbeiten. Ja, eines dieser Altärchen,
n. 7592 —1861 im Kensingtonmuseum wird sogar
dem Andrea Orcagna zugeschrieben. (Schiufs f.)

Innsbruck. Hans Semper.
 
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