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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Haendcke, Berthold: Ueber Entwürfe und Studien zu ausgeführten Werken Alb. Dürers
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0100

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153

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

154

Unter Nummer 307 hat Lippmann die
Zeichnung eines kleinen Engelköpfchens aus der
Louvresammlung publizirt mit der Bemerkung,
dafs das Blatt erst 1506 als eine der vielen
Studien zu dem Rosenkranzfeste entstanden sei.
An und für sich ist das gerne möglich. Das
Köpfchen findet sich jedoch auf dem erwähnten
Bilde nicht; wohl aber auf der Madonna mit
dem Zeisig vom Jahre 1506 in Berlin.2) Diese
wird bekanntlich von zwei Engeln gekrönt.
Die Zeichnung gibt im Gegensinne den Kopf
des Amoretten zur Rechten. Die Ueberein-
stimmung ist bis auf die Vertheilung von Licht
und Schatten genau. Weshalb Dürer die Studie
im Spiegelbilde gezeichnet hat, ist mir aller-
dings nicht erklärbar. Wahrscheinlich wollte
er sie ursprünglich anders verwenden. Anderer-
seits war seinem mit dem „Umkehren" ja sehr
vertrauten Auge eine derartige Handlung nichts
Ungewohntes. Ich möchte in Parenthese be-
merken, dafs auf der Louvrezeichnung (ed.
Lippmann 312), die den Kopf eines Knaben,
ganz von vorn gesehen, mit kurzem Kraushaar
gibt, uns das in allen Einzelheiten exakte Vor-
bild für den Kopf des Christuskindes auf dem
Berliner Gemälde zeigt. Das Blatt ist auf dem
blauen venetianischen Papier gezeichnet und
mit Weifs gehöht.

Darf man die prachtvolle Federzeichnung
in brauner Tinte (ed. Lippmann Nr. 399) beim
Herzoge von Devonshire mit der Madonna mit
dem Zeisige in eine allgemeine Verbindung
bringen? Ich weise auf die feinen Formen des
liebreizenden Antlitzes, auf die edelgeformten
Hände, auf die Gewandung, z. B. die Kräuselung
am Arme, den kleinen Johannisknaben hin. Es
könntesich allerdings nur um einen ersten bezw.
einen anderen künstlerischen Gedanken handeln,
aus dessen Verfolgung das Bild dann schliefslich
entstand. Chronologische Schwierigkeiten er-
gaben sich meines Erachtens nicht. Denn die
Zeichnung mufs ziemlich gleichzeitig entstanden
sein. Italien ist nicht zu leugnen.

Diese kleinen, wahrscheinlich in Venedig
entworfenen Kinderköpfe haben Dürer, wie
ich auch an einer anderen Stelle nachweisen
werde, noch lange in der Erinnerung gelebt.
Das beim Bilde der Madonna mit dem Zeisig
verwandte Köpfchen findet sich, rechtseitig,
wieder auf dem Mittelbilde des Heller'schen

2) Vergl. Rosenberg
Kunst« 1893 p. 229.

»Zeitschrift für bildende

Altares. Und zwar links vom krönenden
Christus, etwa in halber Leibeshöhe dieses. Die
Kongruenz ist evident. Es sind nur die Aerm-
chen hinzugefügt, in deren Händen das Englein
eine Schelle hält. Auf dem nämlichen Ge-
mälde ist auch der Kopf benutzt worden, von
dem wir nur den Schädel, Hinterkopf, und von
dem Gesichte einzig die Nase und Oberlippe
sehen (ed. Lippmann 309). Drehen wir die
Pinselzeichnung herum, so dafs dir Nase nach
oben kommt, so haben wir den Putto vor uns,
der in der unteren Reihe von Engeln sich zu
äufserst der linken Seite des Heilandes befindet.
Ebenso hat der Kopf eines Kindes mit lockigem
Haar im Louvre auf dieser Himmelfahrt Maria
Verwendung gefunden. „Die Schultern sind
dargestellt in dreiviertel Stellung nach links,
während der Kopf in starker Drehung von
vorn nur etwas nach rechts geneigt, sichtbar
wird. Der Blick geht nach rechts" (ed. Lipp-
manri Nr. 313). Gerade unter dem linken Fufse
Christi treffen wir den kleinen Burschen als
beflügelten Engel wieder an. Soweit die mir
vorliegende Photographie der Himmelfahrt
Maria aus der Riehl'schen Publikation der
Gemälde Wohlgemuth's und Dürer's ein Urtheil
zuläfst, ist der so energisch nach links ge-
drehte Kindeskopf, dafs das Gesicht nur im
verlorenen Profile sichtbar wird und der
schwach behaarte Hinterkopf hervortritt im
Gegensinne, aber in der gleichen Haltung auf
der rechten Bildseite, am linken Fufse Gott Vaters
benützt worden (ed. Lippmann 310).

Auf dem Holzschnitte der Krönung Maria
von 1510 nehmen wir, im Gegensinne, den herr-
lichen geflügelten Kopf eines Kindes wahr, den
Dürer 1506 zeichnete. Wir bemerken ihn rechts
hinter dem Mantel Gottes. Auf dem Rosen-
kranzbilde, für das er ohne Zweifel einst ge-
zeichnet wurde, habe ich ihn nicht finden
können. Lippmann a. a. O. unter Nr. 114 spricht
auch nur die soeben von mir formulirte An-
nahme ganz allgemein aus, ohne eine bestimmte
Gestalt angeben zu können. Das Blatt besitzt
die Kunsthalle in Bremen.

Mit einer gewissen Reserve möchte ich die
schöne von 1503 datirte Studie eines Madonnen-
kopfes bei v. Franck in Graz (ed. Lippmann 163)
mit dem letzten Blatte im Marienleben (B. 95)
in Verbindung bringen. Die grofse Zeitdifferenz
darf uns nicht stutzig machen. Alle Künstler
greifen ruhig zu alten Zeichnungen, um sie
 
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