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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0127

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195

1898.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

196

will,2) doch nicht zu leugnen, dafs der äufserste
Kontrast des glühenden Roth und des tiefen
Blau in der breit behandelten Farbengebung
der Gewänder, sonst grell wirkt und dem Bilde
etwas unruhig Buntes verleiht. Das war jetzt
verschwunden; das schleierhaft webende Licht
hatte die schneidenden Gegensätze gemildert
und wie mit dem weichen Kusse des Abends
die Farben harmonischer verschmolzen. Am
allerwenigsten vertragen Angelicos Gemälde
die Galleriebeleuchtung. Sie sind entstanden
im Dämmerlichte der Klosterhallen und be-
rechnet für die dunkeln Kapellen italienischer
Kirchen. Darum das helle Kolorit und die
lichtgetränkte Durchsichtigkeit der Töne, die
ihre rechte Stimmung allein unter den Schatten
der Kirchengewölbe erhalten.

Auch die Kreuzabnahme mufs einst einen
Nebenaltar in Santa Trinitä geschmückt haben,8)
wie jetzt noch in der vierten Kapelle des
rechten Seitenschiffes Don Lorenzos Verkün-
digung. An einem solchen gedämpft beleuch-
teten Orte, wo der Geist stiller Andacht weht,
und die Seufzer schmerzbeladener Seelen noch
nachhallen, wie Weih rauch wölken, die im Abend-
schimmer zerfliefsen, will das Bild gedacht sein,
wenn es den ganzen Reichthum religiöser Ge-
danken, kontemplativer Gefühle und elegischer
Poesie, die der Engel der kirchlichen Malerei
hier in Farben ausgeströmt hat, offenbaren soll.

In drei Gruppen ist die Darstellung ge-
gliedert. In der Mitte sinkt der entseelte Leich-
nam, gestützt von den liebenden Armen der
Männer, langsam herab vom Kreuze. Der
Künstler hat nicht vergessen, dafs diese Ge-
stalt die „schönste war unter allen Menschen-
kindern"4), und darum dem edelgeformten Körper
nur leicht die Spuren der entsetzlichen Leiden

*) Supino S. 131 hält die ursprüngliche Harmonie
der Farben für gänzlich zerstört, während B e i s s e 1S. 17
die vortreffliche Erhaltung der alten Farbenstimmung
rühmt und nur die Tiefe des Tones etwas gemindert
findet.

3) Vasari »Le vite de' piü eccellenti pittori,
scultori ed architettori« (Opere ed. Milanesi Tom. II.
Firenze 1878) Vol. II p. 513 bezeichnet sie zwar als
„tavola della sagrestia", was alle Neueren ihm nach-
schreiben. Allein dies beweist nur, dafs sie im
XVI. Jahrh. sich dort befand, wohin man sie beim
Ersatz der alten Altäre durch Renaissancebauten ge-
bracht haben mag. Dafs sie ursprünglich eine Altar-
retabel war, verräth die alte Umrahmung.

4) Ps. 44,3. Dieser Psalm ist das Brautlied auf
den Messias.

und des gewaltsamen Sterbens aufgeprägt; die
Konturen sind ruhig fliefsend, soweit es nur
der Ernst des Todes zuliefs. Angelicos Schön-
heitssinn hat stets den abstofsenden Ausdruck
der Martern, wie ihn die Kunst des spätem
Mittelalters liebte, fern gehalten. Er hat auch
nicht vergessen, dafs diesem Toten die hin-
gehendste, zarteste Liebe seiner Jünger gehörte.
Behutsam wie ein Kleinod, ehrfurchtsvoll wie
ein Heiligthum halten sie die sterbliche Hülle
des Heifsgeliebten. Mit bewundernswerther
Zartheit ist diese Seelenstimmung in den Fi-
guren zum Ausdruck gebracht. Kein Laut ent-
ringt sich in diesem weihevollen Augenblicke den
Lippen, nur die Sprache der Augen und der leise
Wink der Hand mahnen gegenseitig zu zittern-
der Vorsicht. Der Mann, der unterhalb des
Josef von Arimathäa auf der Leiter sich be-
findet, hebt warnend die Rechte und sendet
einen bittenden Blick zu dem Greise, der unter
ihm steht und die Kniee des Erlösers umfängt,
und dieser gibt den bedeutsamen Blick weiter
zu Nikodemus, der das zurücksinkende Haupt
stützt und mit demselben Ausdruck sein Auge
auf Josef von Arimathäa richtet. Und Johannes,
den der Maler so nachdrücklich in die Mitte
des Gemäldes gestellt hat? Der jungfräuliche
Liebling steht näher als irgend ein anderer an
dem blutüberströmten Stamme des Kreuzes,
hat ja doch auch keiner der Jünger das Opfer
der Liebe tiefer und schmerzlicher mitempfunden
als der Jünger der Liebe. Er wendet Augen und
Hände empor zu der Brust Jesu, ganz nahe zu
derselben Brust, an welcher er wenige Stunden
vorher noch liebestrunken geruht hat. Aber jetzt
hat das Herz des Gottmenschen, das von Er-
barmung und Liebe zu den Sündern überflofs,
zu schlagen aufgehört; auch der Eingeborene
des Vaters hat zum Heile der Welt seiner
menschlichen Natur den Tribut gezollt. Es
ist die hoheitsvolle Stille des Todes und ihre
menschlich ergreifende Macht, welche die
Gruppe der Männer beherrschen, die wie eine
lebendige mitfühlende Umrahmung den hei-
ligen Leib umgeben. Darum schrieb der
Künstler die Worte des prophetischen Sängers
darunter: „Aestimatus sum cum descentibus in
lacum", ich bin denen gleichgestellt, die in
das Grab hinabsteigen.5) Das ist die Wahrheit,
die der vom Kreuze herniederschwebende

5) Ps. 87,5.
psalm.

Es ist ein messianischer Leidens-
 
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