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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0131

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203

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

204

pagnia) geworfen.13) Die Gesichtszüge dieser
beiden sind ergriffener, nachdenklicher, inniger;
ihre Blicke mit Vertrauen und stillem Ver-
langen auf das Kreuz gerichtet. Aber auch
diese ernsteren Männer stellen so gut wie die
Weltkinder neben ihnen, sich im Namen des
sündigen Florenz die mahnende Frage: et nemo
percipit corde? — Wirklich, Niemand? — Doch
siehe, hier im Vordergrunde kniet er, der edle
Florentiner, dem der gekreuzigte Jesus tief das
Herz rührte, und der seinen Mitbürgern ein
leuchtendes Vorbild der Bufse wurde. Es ist
der heilige Giovanni Gualberti, der Stifter des
Ordens von Vallombrosa. Der Jüngling war
einst, erzählt die Legende, an einem Karfreitage
— es ist der Tag der Kreuzabnahme — dem
Feinde seines Hauses begegnet, an dem er
Blutrache nehmen sollte. Als ihn aber dieser
bei der Liebe des Gekreuzigten um Erbarmen
anflehte, gewährte er ihm das Leben und ge-
lobte selber vor dem Kruzifixe in San Miniato,
der Welt zu entsagen. Angelico hat ihn nicht
als Heiligen oder Mönch dargestellt, sondern
dem Gedankengange seines Bildes entsprechend,
als den von jugendlicher Schönheit glänzenden
Sohn der Arnostadt, dessen fürstlicher Rang
durch die Krone auf seinem Haupte ange-
deutet ist,14) und in dem Augenblicke, wo er
von Bufsschmerz erschüttert vor dem Kreuze
kniet und an seine Brust schlägt — percipit
corde.

Im Patriarchen von Vallombrosa, in deren
Einsiedelei so viele Sprossen edler Geschlechter
Toskanas ein Leben der Bufse geführt hatten,
gipfelt der letzte Gedanke des Bildes. Es war
zugleich die geistreichste Huldigung für den
Orden, dessen Kirche in Florenz es zu schmücken
bestimmt war.

Giovanni Gualberti bildet in der zeichne-
rischen Anordnung des Gemäldes das klar betonte

13) Vgl. vorige A. am Schlufs. — Wenigstens der
im Hintergrund Stehende, dessen Gesicht von schwar-
zem Barte umrahmt ist, dürfte Porträt sein. Rio findet
auf dem Bilde den Kopf des Michelozzo, wogegen Beissels
Bemerkung S. 16 nichts beweist (vgl. oben A. 1). Viel-
leicht darf man in jenem Manne den Stifter der Tafel
oder das Haupt der stiftenden Compagnia sehen, die
ihren Sitz in S. Trinitä gehabt hätte. Vgl. auch Vasari
II, 450 und Milanesi z. d. St.

M) Ob die fürstliche Herkunft geschichtlich ist,
kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls — und darauf
kommt es hier allein an — glaubte die spätere Zeit
daran. S. Boll. Acta Sanctor. Jul. III. Comment.
praev. § 1, n. 2, p. 311.

Gegengewicht zu Magdalena, aber in der Idee
schliefst hier die Komposition sich doch wieder
einheitlich zusammen: beide auf den Knieen
am Fufse des Kreuzes - - die einzigen knieenden
Figuren des Bildes — beide Büfser, beide in
Liebe entflammt zu der gekreuzigten Liebe und
beide deshalb in die Farbe der Liebe, das blut-
rothe Gewand gehüllt, das in Harmonie steht
mit dem am Kreuzesstamme herabrinnenden
Blute des Opfers der Liebe.

Die Kreuzabnahme gewährt Einblick in die
innere Welt, in der die Kunst des Beato An-
gelico athmete und lebte. Die Quelle seiner
Kunst ist weder die naive Harmlosigkeit des
Kindesglaubens, die moderne Beurtheiler an
ihm zu rühmen pflegen, noch die thränen-
feuchte Frömmigkeit des einfältigen Kloster-
bruders, an der andere sich erbauen, sondern
die gedankenlichte und empfindungswarme
Mystik des betrachtenden Theologen.

* * *
Das war es, was heute, in der wundersamen
Beleuchtung, mehr als sonst die Gedanken
flüsterten, welche die Tafel umschwebten. In
dieser Auffassung befand ich mich in Ueber-
einstimmung mit dem liebenswürdigen und
kunstsinnigen Florentiner, der neben mir stand.
Während ich an die berühmt gewordenen Worte
erinnerte, die Montalembert, nicht ohne einen
Anflug romantischer Rührseligkeit, vor dem
I Bilde niederschrieb, verwies er mich auf die
gerade entgegengesetzte Beurtheilung des neue-
| sten Biographen, der in der Kreuzabnahme nur
| die Eingebung ausgesuchter koloristischer Kunst
fand15) und den Ideengehalt in den Kontrast der
Farben aufgehen läfst.16) In der That hat die
Würdigung des Mönches von Fiesole im Laufe
der Zeit die gröfsten Wandlungen durchge-
macht, und es ist nicht ohne Interesse, sie
in raschem Ueberblicke zu verfolgen. Sie
zeigen an einem springenden Punkte den tief-
gehenden Wechsel, den die Anschauungen über
christliche Kunst seit vier Jahrhunderten er-
fahren haben. (Forts, folgt.)
Bonn. Heinrich Schrörs.

ls) Tumiati a. a. Ü. p. 132: „l'iapirazione cro-
matica."

fi) Ebd. p. 134: ltLe due idee principali della
Deposizione sono: il sangue versato nella Passione,
e la Redenzione degli uomini — il sangue e il cielo,
la porpora e lo zaffiro: ecco le due idee centrali
trasformate in due colori dominanti."
 
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