295
1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.
296
Studien zu Giovanni da Fiesole.
II. Fulget crucis mysterium.
Mit Abbildung.
lorenz! San Marco! — Sie wecken
Erinnerungen an grofse Tage aus
der Geistes- und Sittengeschichte
Italiens, ja der Kirche. Gestalten
treten aus dem Dunkel der Jahrhunderte her-
vor, welche die gewaltigsten Gegensätze ihrer
Zeit darstellen. Wer aus den „Paradieses-
pforten" des Battistero tritt und über die ehe-
malige Via Larga nach der Piazza von S. Marco
schreitet, lenkt bald den Blick auf den Palast,
den Cosimo der Alte als Wahrzeichen seiner
Macht und seiner Kunstliebe aufführen liefs,
und in dessen feierlichen Räumen Lorenzo il
Magnifico die Politiker und Künstler und Ge-
lehrten des Humanismus um sich versammelte.
Weiter ist die Stelle, wo die berühmten Gärten
der Medici das Christenthum durch die Weis-
heit Piatos meistern hörten und die antike
Kunst den frommen Sinn des Mittelalters be-
lächeln sahen. Und gerade gegenüber — so
hart stofsen im Räume sich die Gedanken —
erheben sich die Mauern des Markusklosters;
jetzt friedlich und schweigend, aber damals
drang aus ihnen der Kampfesruf Savonarolas.
Flammender, überwältigender als er, hat kein
Bufsprediger gesprochen, und nie sind furcht-
barere Anklagen erhoben worden, als die,
welche der Prior von S. Marco gegen medi-
cäische Kultur und Lebensgenufs richtete. An
jenem furchtbaren Fastnachtsdienstag des Jahres
1498 durfte er, vor dem Thore der Kloster-
kirche stehend und das Sakrament in der hoch-
erhobenen Rechten haltend, im Angesichte des
florentinischen Volkes das Gericht des All-
mächtigen anrufen für die „Aufrichtigkeit seines
Herzens" und die Reinheit seiner Ideale. Im
Säkularjahre seines Martyrertodes darf man eher
auf Verständnifs rechnen, wenn man an dem
Mönche den Reformator der Sitten und des
religiösen Lebens und nichts als den Refor-
mator betont.
Der Quell, aus dem seine Seele trank und
immer wieder trank, aus dem in den schwersten
Stunden ihm Licht und Kraft zuflofs, war das
Geheimnifs des Kreuzes. Durch alle seine Pre-
digten klingt es hindurch, und seiner letzten
und tiefsten Schrift gab er den Titel „Triumph
des Kreuzes" — Triumph gegenüber der Ver-
weltlichung und Zweifelsucht der Renaissance-
bildung.1) Erhaben wie ein prophetisches Ge-
sicht und lebendiger Phantasie voll wie eine
künstlerische Komposition ist die Schilderung
des Triumphzuges des Gekreuzigten. Auf einem
Prunkwagen thront er, mit Dornen gekrönt und
seine Wunden und Narben zeigend. In seiner
linken Hand ruhen das Kreuz und die Leidens-
werkzeuge; in der rechten hält er die Schrift
des alten und neuen Bundes; über dem Haupte
schwebt eine strahlende Kugel, die wie eine
Sonne die ganze Kirche erleuchtet, während
zu den Füfsen Kelch und Hostie und die Sinn-
bilder der übrigen Sakramente stehen. Dem
Wagen voran schreiten Propheten, Apostel und
Heilige u. s. w.2) Tiefer als heutige Geschicht-
schreiber hat die Dichterin das innere Leben
dieses eminent religiösen Geistes erkannt. In
»Romola«, dem Meisterwerke ihrer Romane
gibt George Eliot dem Seelenführer ihrer Hel-
din in den ergreifendsten und intimsten Augen-
blicken das Kruzifix in die Hand.8)
Wie das erschütternde Wort des Predigers
der florentinischen Kunst den Ernst der Formen-
gebung und Stimmung, die schlichte Gröfse
') „Triumphus crucis sive de veritale fidei libri IV."
(Lugduni Batav. 1633). — Nach dem Proömium will
er darstellen „gloriosum crucis triumphum contra
huius saeculi sapientes garrulosque sophistas". L. I. c. I.
pag. 7 sq. gibt als den leitenden Gedanken an: „Ex
admirandis Christi operibus ostendere volumus, eum-
dem Christum crucifixum esse primam omnium causam
et ipsius operationes esse Dei operationes, qui errare
non potest." L. II. c. XV. pag. 171: „Omnia, quae
ipsius summi boni sunt conditiones, nunquam nisi in
Christo crucifixo aeque ut in Deo inventa sunt: is
ergo est summum bonum." In seiner Schrift »De
simplicitate christianae vitae« (ib. 1638) lautet einer
der Hauptleitsätze: „Maximas delectationes christiani
habent in contemplatione Christi crucifixi" (1. V. concl.
XIV pag. 166).
2) Triumphus crucis 1.1 c. II pag. 10 sqq. — Vgl.
dazu über eine Kreuzesvision und über sein in den
Hymnen ausgesprochenes Verlangen, selbst gekreuzigt
zu werden, P. Villari »Geschichte Girolamo Savona-
rolas und seiner Zeit. Deutsch von Berduschek« (Leip-
zig 1868. Die neue Auflage des Originals steht mir
nicht zu Gebote) I, 241, 88.
3) »Romola« 2 vols (Leipzig, Tauchnitz 1863) B. I
eh. XV: „The Dying Message" (I, 177) und eh. XX:
„An Arresting Voice" (II, 67).
1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.
296
Studien zu Giovanni da Fiesole.
II. Fulget crucis mysterium.
Mit Abbildung.
lorenz! San Marco! — Sie wecken
Erinnerungen an grofse Tage aus
der Geistes- und Sittengeschichte
Italiens, ja der Kirche. Gestalten
treten aus dem Dunkel der Jahrhunderte her-
vor, welche die gewaltigsten Gegensätze ihrer
Zeit darstellen. Wer aus den „Paradieses-
pforten" des Battistero tritt und über die ehe-
malige Via Larga nach der Piazza von S. Marco
schreitet, lenkt bald den Blick auf den Palast,
den Cosimo der Alte als Wahrzeichen seiner
Macht und seiner Kunstliebe aufführen liefs,
und in dessen feierlichen Räumen Lorenzo il
Magnifico die Politiker und Künstler und Ge-
lehrten des Humanismus um sich versammelte.
Weiter ist die Stelle, wo die berühmten Gärten
der Medici das Christenthum durch die Weis-
heit Piatos meistern hörten und die antike
Kunst den frommen Sinn des Mittelalters be-
lächeln sahen. Und gerade gegenüber — so
hart stofsen im Räume sich die Gedanken —
erheben sich die Mauern des Markusklosters;
jetzt friedlich und schweigend, aber damals
drang aus ihnen der Kampfesruf Savonarolas.
Flammender, überwältigender als er, hat kein
Bufsprediger gesprochen, und nie sind furcht-
barere Anklagen erhoben worden, als die,
welche der Prior von S. Marco gegen medi-
cäische Kultur und Lebensgenufs richtete. An
jenem furchtbaren Fastnachtsdienstag des Jahres
1498 durfte er, vor dem Thore der Kloster-
kirche stehend und das Sakrament in der hoch-
erhobenen Rechten haltend, im Angesichte des
florentinischen Volkes das Gericht des All-
mächtigen anrufen für die „Aufrichtigkeit seines
Herzens" und die Reinheit seiner Ideale. Im
Säkularjahre seines Martyrertodes darf man eher
auf Verständnifs rechnen, wenn man an dem
Mönche den Reformator der Sitten und des
religiösen Lebens und nichts als den Refor-
mator betont.
Der Quell, aus dem seine Seele trank und
immer wieder trank, aus dem in den schwersten
Stunden ihm Licht und Kraft zuflofs, war das
Geheimnifs des Kreuzes. Durch alle seine Pre-
digten klingt es hindurch, und seiner letzten
und tiefsten Schrift gab er den Titel „Triumph
des Kreuzes" — Triumph gegenüber der Ver-
weltlichung und Zweifelsucht der Renaissance-
bildung.1) Erhaben wie ein prophetisches Ge-
sicht und lebendiger Phantasie voll wie eine
künstlerische Komposition ist die Schilderung
des Triumphzuges des Gekreuzigten. Auf einem
Prunkwagen thront er, mit Dornen gekrönt und
seine Wunden und Narben zeigend. In seiner
linken Hand ruhen das Kreuz und die Leidens-
werkzeuge; in der rechten hält er die Schrift
des alten und neuen Bundes; über dem Haupte
schwebt eine strahlende Kugel, die wie eine
Sonne die ganze Kirche erleuchtet, während
zu den Füfsen Kelch und Hostie und die Sinn-
bilder der übrigen Sakramente stehen. Dem
Wagen voran schreiten Propheten, Apostel und
Heilige u. s. w.2) Tiefer als heutige Geschicht-
schreiber hat die Dichterin das innere Leben
dieses eminent religiösen Geistes erkannt. In
»Romola«, dem Meisterwerke ihrer Romane
gibt George Eliot dem Seelenführer ihrer Hel-
din in den ergreifendsten und intimsten Augen-
blicken das Kruzifix in die Hand.8)
Wie das erschütternde Wort des Predigers
der florentinischen Kunst den Ernst der Formen-
gebung und Stimmung, die schlichte Gröfse
') „Triumphus crucis sive de veritale fidei libri IV."
(Lugduni Batav. 1633). — Nach dem Proömium will
er darstellen „gloriosum crucis triumphum contra
huius saeculi sapientes garrulosque sophistas". L. I. c. I.
pag. 7 sq. gibt als den leitenden Gedanken an: „Ex
admirandis Christi operibus ostendere volumus, eum-
dem Christum crucifixum esse primam omnium causam
et ipsius operationes esse Dei operationes, qui errare
non potest." L. II. c. XV. pag. 171: „Omnia, quae
ipsius summi boni sunt conditiones, nunquam nisi in
Christo crucifixo aeque ut in Deo inventa sunt: is
ergo est summum bonum." In seiner Schrift »De
simplicitate christianae vitae« (ib. 1638) lautet einer
der Hauptleitsätze: „Maximas delectationes christiani
habent in contemplatione Christi crucifixi" (1. V. concl.
XIV pag. 166).
2) Triumphus crucis 1.1 c. II pag. 10 sqq. — Vgl.
dazu über eine Kreuzesvision und über sein in den
Hymnen ausgesprochenes Verlangen, selbst gekreuzigt
zu werden, P. Villari »Geschichte Girolamo Savona-
rolas und seiner Zeit. Deutsch von Berduschek« (Leip-
zig 1868. Die neue Auflage des Originals steht mir
nicht zu Gebote) I, 241, 88.
3) »Romola« 2 vols (Leipzig, Tauchnitz 1863) B. I
eh. XV: „The Dying Message" (I, 177) und eh. XX:
„An Arresting Voice" (II, 67).